Von Linn Wotka und Franziska Mauritz
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Weiterverbreitung eines Filmbeitrags durch Dritte im Internet dem Erstveröffentlicher zuzurechnen ist und Maßstäbe für den Ersatz von Rechtsverfolgungskosten bei Inanspruchnahme des Weiterverbreiters aufgestellt (Urteil vom 09.04.2019 – VI ZR 89/18).
The federal Court of Justice has ruled that the online distribution of a film by third parties can be attributed to the first publisher and set standards regarding the compensation for legal expenses for claims against the third party.
Der BGH hat ein Urteil des OLG Jena (Urt. v. 21.2.2018 – 7 U 471/17), über das wir bereits am 16. März 2018 berichtet haben, teilweise aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Wiederum lag der am 4. November 2015 vom MDR (Beklagte zu 1) ausgestrahlte und in der Mediathek bereitgehaltene Bericht „Provinz der Bosse – Die Mafia in Mitteldeutschland“ zugrunde. In der Darstellung einer mit einem Pseudonym versehenen Person erkannte der Kläger sich wieder und nahm die Beklagten in Vorprozessen erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch (OLG Dresden, Urt. v. 30.8.2016 – 4 U 314/16; LG Leipzig, Urt. v. 2.2.2016 – 08 O 3299/15). In der Folge wurde der Bericht durch Dritte auf Youtube und anderen Plattformen weiterverbreitet. Der MDR veranlasste auf Aufforderung des Klägers (mehrfach) die Löschung des Videos auf dem Kanal „C. Club“. Daneben veranlasste der Kläger selbst anwaltliche Abmahnungen gegen die Dritten und beantragte eine einstweilige Verfügung.
Das OLG Jena verneinte die Ersatzfähigkeit der durch die Abmahnungen und das Verfügungsverfahren entstandenen Rechtsverfolgungskosten aufgrund fehlender Zurechenbarkeit der Persönlichkeitsrechtsverletzung. Einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen rechtswidriger Verdachtsberichterstattung wurde ebenfalls zurückgewiesen.
Zurechenbarkeit der Rechtsgutsverletzung
In der Revision musste sich der BGH nur noch mit der Frage auseinandersetzen, ob der Erstveröffentlicher für die Weiterverbreitung seines Beitrages durch Dritte im Internet haftet und insofern auch Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen hat. Der BGH gelangte zu dem Ergebnis, dass die durch eine Weiterverbreitung eines Beitrages entstandenen Rechtsgutsverletzungen dem Erstveröffentlicher zuzurechnen sind. Die Erstveröffentlichung des Filmberichts und Einstellung in die Mediathek durch den MDR seien für die Folgeveröffentlichungen insofern adäquat kausal gewesen.
Die Zurechenbarkeit folge aus dem Grundsatz, dass demjenigen, der einen Beitrag im Internet veröffentlicht, Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch insoweit zuzurechnen sind, wie sie durch die Weiterverbreitung des Beitrags durch Dritte entstehen. In der Rechtsgutsverletzung durch Dritte würden insofern die „internettypischen“ Gefahren fortwirken, die durch die Erstveröffentlichung als erste Ursache gesetzt wurden, sodass der Zurechnungszusammenhang nicht durch das Dazwischentreten eines Dritten unterbrochen werde.
Keine Durchbrechung aufgrund von Art. 5 Abs. 1 GG
Nach dem BGH rechtfertigen auch die Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG keine Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs zum Schutz einer funktionsfähigen Presse. Zwar seien diese Freiheiten bei der Prüfung etwaiger (finanzieller) Sanktionen zu beachten, insb. bei einer Haftung für Schäden, die nur gelegentlich einer rechtswidrigen Presseberichtserstattung entstanden sind. Vorliegend sei aber ein ausreichend enger Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung und den aus Anlass der Rechtsgutsverletzung durch die Weiterverbreitung entstandenen Rechtsverfolgungskosten gegeben. Hinzu komme die Möglichkeit des Erstveröffentlichers den Weiterverbreiter in Anspruch zu nehmen. Wenn diese Inanspruchnahme scheitere, sei es auch unter Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheiten hinzunehmen, dass der Schaden beim Erstveröffentlicher verbleibe.
Insofern müsse dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung getragen werden; die Gefahr des Kontrollverlusts und das hohe Haftungsrisiko des Erstveröffentlichers stehe auf Seiten des Verletzen die Gefahr einer unbegrenzten Vielzahl von Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber. Insofern könne die Zurechnung auch nicht auf eine bestimmte Anzahl von Folgeveröffentlichungen begrenzt werden.
Maßstäbe für die Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten
Sodann stellte der BGH Maßstäbe für die Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten auf. Die Erstattungsfähigkeit richte sich nach Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit des Vorgehens. Bei rechtswidrigen Veröffentlichungen im Internet stehe dem Verletzten regelmäßig ein Wahlrecht dahingehend zu, ob er zunächst gegen den Erstveröffentlicher oder Weiterverbreiter vorgehe. Entscheide sich der Verletzte für ein Vorgehen gegen den Erstveröffentlicher, hänge die Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen von der Reaktion des Erstveröffentlichers ab. Werde dieser ohne Zögern aktiv, bedürfe es eines triftigen Grundes, um eigene Maßnahmen gegen Weiterverbreiter einzuleiten. Der Verletzte müsse sich zumindest über die vom Erstveröffentlicher durchgeführten und beabsichtigten Maßnahmen informieren; in der Regel sei eine Verzögerung oder Erfolgslosigkeit der Maßnahmen des Erstveröffentlichers erforderlich, um ein eigenmächtiges Vorgehen des Verletzten gegen den Weiterverbreiter zu rechtfertigen.
Darüber hinaus könne die Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zu einer Beschränkung des Wahlrechts des Verletzten führen. Dieser könne dazu gehalten sein, sich zunächst an den Erstveröffentlicher zu wenden, wenn dieser bessere Möglichkeiten hat, die Beeinträchtigungen zu beseitigen. Dies könne etwa der Fall sein, wenn der Erstveröffentlicher über überlegenes Wissen und Mittel verfüge, um eine Weiterverbreitung zu verhindern (z.B. Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung).
Zusätzlich dürfe der Verletzte hinsichtlich dieses Entscheidungsprozesses anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Da das OLG Jena hinsichtlich der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit keine Feststellungen getroffen hatte, verwies der BGH die Sache insofern an das Berufungsgericht zurück.
Zusammengefasst:
- Wer einen rechtswidrigen Beitrag im Internet veröffentlicht, haftet grundsätzlich für sämtliche Folgeveröffentlichungen.
- Diese Haftung umfasst auch die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die dem Verletzten dadurch entstehen, dass er Dritte in Anspruch nimmt, die einen Beitrag weiterverbreiten.
- Grundsätzlich hat der Verletzte die Wahl, ob er gegen den Erstveröffentlicher oder die Weiterverbreiter vorgehen will.
- Entscheidet sich der Verletzte für ein Vorgehen gegen den Erstveröffentlicher, hängt die Ersatzfähigkeit für Kosten wegen eines Vorgehens gegen Weiterverbreiter von dem weiteren Verhalten des Erstveröffentlichers ab. Nur wenn dieser ohne Verzögerung und erfolgreich gegen die Weiterverbreitungen vorgeht, kann eine Ersatzpflicht ausscheiden.
- Der Verletzte kann dazu verpflichtet sein, zunächst den Erstveröffentlicher in Anspruch zu nehmen, wenn dieser bessere Möglichkeiten hat, die Beeinträchtigung zu beseitigen.
Praxishinweise
Der BGH hat in dem Urteil seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 11.11.2014 – VI ZR 18/14; Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12) zur Haftung für internettypische Gefahren weiter ausgebaut und zur Klärung wichtiger Grundsatzfragen des Internetrechts beigetragen. Während der I. Zivilsenat (BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 77/12 – Vertragsstrafenklausel) noch der Auffassung war, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen hat und zu einer aktiven Einwirkung auf Dritte nur verpflichtet ist, wenn ihm das Handeln des Dritten wirtschaftlich zugutekommt, sieht der BGH bei deliktsrechtlichen Ansprüchen keine solche Einschränkung.
Zu begrüßen ist, dass der der BGH mit der Entscheidung ein wenig mehr Rechtssicherheit schafft und gleichzeitig klare Handlungsanweisungen für die Praxis erteilt. Auf der anderen Seite besteht für Medienunternehmen nun ein ganz deutliches Haftungsrisiko, welches aber verringert werden kann. Wir empfehlen:
- Sofort reagieren: Wird ein Medienunternehmen wegen einer Rechtsverletzung im Internet in Anspruch genommen und auf Weiterveröffentlichungen Dritter hingewiesen, sollte ohne Verzögerung reagiert und gegen Weiterverbreiter vorgegangen werden.
- Klare Kommunikation: Das Medienunternehmen sollte gegenüber dem Verletzten die Bereitschaft anzeigen, sofort gegen die Weiterverbreitung vorzugehen. Gleichzeitig sollte dem Verletzten mitgeteilt werden, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden. Ist ein Vorgehen erfolgreich, sollte der Verletzte gleich informiert werden.
Lesen Sie mehr zum Presserecht in unseren aktuellen Beiträgen von Verena Haisch/Lennart Elsaß, „BGH: Drittunterwerfung kann auch im Äußerungsrecht Wiederholungsgefahr entfallen lassen“ und „BVerfG: Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im Presserecht“.