OLG Jena stärkt die Pressefreiheit: Keine Geldentschädigung für identifizierende Verdachtsberichterstattung über Mafia-Mitgliedschaft; Keine Haftung für Abmahnkosten wegen Verbreitungshandlungen Dritter

Von Linn Wotka und Philipp Eichenhofer

Das OLG Jena (Urt. v. 21.2.2018 – Az. 7 U 471/17) hat entschieden, dass ein Gastronom, der in einem Fernsehbericht der Mitgliedschaft in der Mafiaorganisation „‘Ndrangheta“ verdächtigt wurde und dabei für einen beschränkten Personenkreis identifizierbar war, vom ausstrahlenden Sender weder eine Geldentschädigung noch Erstattung von Abmahnkosten verlangen kann, die aufgrund eines Vorgehens gegen Dritte entstanden sind,  die den Bericht im Internet weiterverbreitet haben. Hinsichtlich der Abmahnkosten ließ das Gericht die Revision zu.

Higher Regional Court of Jena strengthens freedom of speech and the press: No compensation for restaurant owner suspected of being a member of the mafia by TV report; no liability for warning costs concerning third party disseminations.

The Higher Regional Court of Jena has ruled that a restaurant owner who was suspected in a television report of being a member of the mafia organisation ‘Ndrangheta and was thereby identifiable to a limited number of persons cannot claim immaterial damages or reimbursement of lawyer’s fees incurred by him as a result of warning third parties who disseminate the report on the Internet. With regard to the warning costs, the court allowed the appeal to the Federal Court of Justice.

Am 4. November 2015 strahlte der MDR den Bericht „Provinz der Bosse – Die Mafia in Mitteldeutschland“ aus. Darin wurde  u.a. den Verdacht geäußert, dass der Kläger Mitglied der kalabrischen Mafia-Organisation „‘Ndrangheta“ sei. Dabei wurde der Kläger mit einem Pseudonym versehen, also nicht namentlich genannt und darüber hinaus auch nicht abgebildet. Der Fernsehbeitrag zeigte aber die Außenansicht sowie Innenaufnahmen von zwei Restaurants des Klägers, weswegen dieser zumindest für seinen engeren Bekanntenkreis identifizierbar war. Vor Veröffentlichung war eine umfassende Recherche erfolgt, welche die Darstellung im Bericht bestätigte.  Die Quellenlage hätte zur Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens jedoch wohl nicht ausgereicht. Dem Kläger wurde der den Verdacht begründende Sachverhalt nicht zur Stellungnahme vorgelegt. Vielmehr wurden an diesen lediglich Emails zur Stellungnahme zur Recherche bzw. Stellungnahme auf Fragen geschickt. Im Beitrag fehlte sodann der Hinweis, dass der Kläger sich zu den Vorwürfen nicht geäußert hatte.

Der Beitrag wurde in der MDR-Mediathek zum Abruf bereit gehalten. Zudem verbreiteten Dritte den Beitrag auf YouTube.

Der Kläger erwirkte zunächst eine Verbotsverfügung, welche der MDR – nach erfolgloser Berufung – als endgültige Regelung anerkannte.

Mit seiner Klage, die sich neben dem MDR auch gegen Journalisten richtete, die an dem Bericht beteiligt waren, begehrte der Kläger eine Geldentschädigung sowie Schadensersatz und Unterlassung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zudem klagte er auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die ihm für die Abmahnung Dritter entstanden waren, die den Beitrag im Internet (YouTube) verbreitet hatten. In erster Instanz sprach das Landgericht Erfurt dem Kläger einen geringen Teil seiner Anwaltskosten zu und wies die Klage im Übrigen ab. Sowohl der Kläger als auch der MDR legten gegen das Urteil Berufung ein.

Keine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Das OLG Jena wies die Klage insgesamt ab; Erfolg hatte also nur die Berufung des MDR. Das Gericht entschied, dass dem Kläger gegen den MDR weder eine Entschädigung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts noch ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Abmahnkosten zusteht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH begründet eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung nur, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Der Kläger sei zwar in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, so das Gericht. Jedoch sei der Eingriff nicht so schwerwiegend, dass die Verletzung nur durch eine Geldentschädigung aufgefangen werden könne.

Bei der zu treffenden Abwägung berücksichtigten die Richter insbesondere, dass mit der Mitgliedschaft in der ‘Ndrangheta ein erheblicher Vorwurf im Raum stand, dass die Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft nicht aktuell waren und dem Kläger nur in Ansätzen Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden war. Andererseits betonten die Richter, dass der Kläger nur in seiner Sozialsphäre betroffen sei, es sich um ein Thema von gesteigertem öffentlichem Interesse handle und vor allem, dass der MDR den Versuch der Anonymisierung unternommen habe und der Kläger in dem Bericht nur für einen überschaubaren Zuschauerkreis erkennbar gewesen sei. Zudem berücksichtigte das Gericht, dass der MDR die Verbotsverfügung als endgültige Regelung anerkannt hatte. Ferner stellte das Gericht klar, dass das für die Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen muss, wenn gerichtsverwertbare Beweise im Berichtsumfeld (Mafia-Kreise) nur äußerst schwer zu erlangen sind, weil es die Beteiligten gerade darauf anlegen, im Verborgenen zu agieren und Zusammenhänge zu verschleiern. Anonymen Quellen, Hintergrundgesprächen und nicht veröffentlichten polizeilichen Lageanalysen seien in diesem Fall ausreichend, sofern die Qualität der Quellen deutlich gemacht werde.

Kosten für die Abmahnung Dritter dem MDR nicht zurechenbar und nicht angemessen

Der MDR-Beitrag war von Dritten auf YouTube hochgeladen worden, weshalb der Kläger diese anwaltlich abgemahnt hatte. Ein Anspruch gegen den MDR auf Ersatz dieser Rechtsanwaltskosten stand dem Kläger nach Auffassung des Gerichts aber nicht zu. Er ergab sich insbesondere nicht aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH dem Verfasser eines im Internet abrufbaren Beitrags eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch insoweit zuzurechnen, als sie durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags durch Dritte im Internet entstanden ist. Denn in der Weiterverbreitung verwirklicht sich eine durch die Veröffentlichung des Ursprungsbeitrags geschaffene internettypische Gefahr. Gleichwohl habe im vorliegenden Fall der MDR die Abmahnkosten des Klägers nicht zurechenbar verursacht, so das Gericht. Zudem sei eine Haftung der Beklagten auch nicht angemessen. Denn die verfassungsmäßige Aufgabe der Presse, Missstände in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aufzudecken, genieße auch die streitgegenständliche Berichterstattung einen besonderen Grundrechtsschutz. Nähme man eine Haftung des MDR auch für die Abmahnkosten gegenüber (potentiell unübersehbar vielen) weiterverbreitenden Dritten an, könnte dies zu erheblichen Kosten führen – und damit zu einer übermäßigen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Da zu dieser Frage jedoch noch keine Entscheidung des BGH vorliegt, ließ das OLG Jena insoweit die Revision zu.

Bemerkenswert an der Entscheidung des OLG Jena sind drei Aspekte:

  • Das Gericht erteilt den vielfach überhöhten Anforderungen, welche an Verdachtsberichterstattungen gestellt werden, eine deutliche Absage:  So wurden – selbstverständlich veranlasst aufgrund der besonderen Materie – anonyme Quellen für ausreichend erachtet und verdeutlicht, dass die recherchierten Beweistatsachen nicht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen müssen. Auch den Umstand, dass dem Kläger keine ausreichende Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben wurde, hielt das Gericht nicht für gravierend genug, um einen Geldentschädigungsanspruch auslösen zu können.
  • Es ist ungewöhnlich, dass das OLG die Abgabe der Abschlusserklärung in der Abwägung so deutlich zu Gunsten des MDR berücksichtigt hat. Zwar kann insbesondere die Abgabe einer freiwilligen Unterlassungserklärung das Erfordernis einer Geldentschädigung entfallen lassen bzw. zu Gunsten des Äußernden berücksichtigt werden. Der MDR hatte sich jedoch keineswegs freiwillig oder im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens unterworfen, sondern dies vielmehr erst nach der (verlorenen) Berufung getan.
  • Das Gericht bezieht eine klar medienfreundliche Position, indem es eine Haftung der Ursprungsquelle für weiterverbreitende Dritte verneint. Eine Revision zum BGH wäre zur endgültigen Klärung dieser Grundsatzfrage jedoch zu begrüßen. Ein Vorgehen gegen weiterverbreitende Dritte kann schnell zu hohen Anwaltskosten führen. Eine BGH Entscheidung würde dieses schwer kalkulierbare Haftungsrisiko deutlich reduzieren und für mehr Rechtssicherheit sorgen. Insbesondere Presseagenturen könnten profitieren.

Mehr zur Verdachtsberichterstattung: In einem aktuellen Beitrag in der LTO nimmt Prof. Engels Stellung zur äußerungsrechtlichen Abwägung von Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit bei der Berichterstattung über vorgeworfene Straftaten.

Weitere aktuelle Rechtsprechung zum Presserecht in unserem Blog: BGH stärkt erneut Pressefreiheit – Bundespräsident a.D. Wulff bleibt Person des öffentlichen Interesses