Der BGH hat dem EuGH (B. v. 02.06.2016 – I ZR 226/14) Fragen zum Geltungsbereichs der sog. Reparaturklausel des Art. 110 der GGV (Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung) vorgelegt. Nach dieser ist der Nachbau von Ersatzteilen zu Reparaturzwecken privilegiert. Der BGH möchte nun u.a. wissen, ob diese Privilegierung nur auf sog. must match-Teile anwendbar ist. Das sind Teile, die nicht frei wähl- und beliebig austauschbar, sondern durch das Erscheinungsbild des Erzeugnisses vorgegeben sind, bei einem Kfz etwa Karosseriebleche und Glasscheiben. Felgen sind dagegen nach Ansicht des BGH nicht formgebunden und mithin keine bloßen Reparaturaustauschteile.
English Summary
The German Supreme Court (BGH) has raised questions (decision of 2 June 2016 – I ZR 226/14) to the European Court of Justice (CJEU) regarding the scope of the so-called repair clause of Art. 110 of the European Design Regulation (06/2002/EC). According to this provision the reproduction of spare parts for the purpose of repair is privileged. The BGH wishes to know, whether the privilege only applies to so-called must match parts, which are parts that cannot be chosen and exchanged freely, but are determined by the appearance of the complex product, e.g. body and glas panels with regard to motor vehicles. In the court’s opinion wheel rims may not be regarded as pre-determined substitutes and thus not as replacement parts.
Hintergrund
In dem zugrundeliegenden Verfahren klagte eine Automobilherstellerin gegen eine italienische Herstellerin von Kfz-Felgen, deren Produkte mit für die Klägerin eingetragenen Designs nahezu identisch übereinstimmten. Die Beklagte argumentierte damit, dass es sich bei den angegriffenen Produkten um Ersatzteile handele, die der Reparatur von beschädigten Fahrzeugen der Automobilherstellerin dienten und deshalb nach Art. 110 Abs. 1 GGV privilegiert seien. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt und verneinten die Anwendung der Reparaturklausel auf Felgen, da diese keine bloßen Reparaturaustauschteile, also keine bloßen “must match” Teile seien.
Vorlagenbeschluss
Der BGH sieht das im Ergebnis ebenso. Zur endgültigen Klärung, ob nur formgebundene Teile – im Gegensatz zu den im Streitfall stehenden Felgen – in den Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung des Art. 110 Abs. 1 GGV fallen, legt er diese Frage dem EuGH vor.
Hierbei argumentiert er insbesondere mit dem Wortlaut der Vorschrift, wonach nicht jede Ersetzung eines geschmacksmusterrechtlich geschützten Fahrzeugteils privilegiert ist, sondern nur diejenige, die das ursprüngliche Erscheinungsbild wiederherstellt. Diese Differenzierung liefe leer, wenn auch Bauteile erfasst würden, die nicht fester Bestandteil des ursprünglichen Erscheinungsbildes sind. Es käme darauf an, ob eine Reparatur unter Verwendung eines abweichend gestalteten Ersatzteils nicht möglich wäre. Bei Felgen für Kraftfahrzeuge könne aber zwischen einer Vielzahl von unterschiedlichen Designs ausgewählt werden, so dass diese nicht in den Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 GGV fielen. Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich im Interesse der Wettbewerbsfreiheit die Monopolisierung des Ersatzteilemarktes durch den Hersteller des komplexen Erzeugnisses zu verhindern, komme nicht zum Tragen. Da bei nichtformgebundenen Teilen wie den streitgegenständlichen Felgen, die Zubehörhersteller Produkte auf den Markt bringen könnten, die sich von dem geschützten Design unterscheiden, würde der Wettbewerb weiterhin bestehen bleiben.
Die weiteren drei vom BGH vorgelegten Fragen gelten für den Fall, dass der EuGH dieser Ansicht des BGH nicht folgt. So möchte er u.a. wissen, ob dann zumindest allein das Angebot von identisch gestalteten Felgen privilegiert ist. Der italienische Hersteller der Felgen hatte diese nämlich auch in anderen Größen und Farben als die entsprechenden Originalfelgen angeboten.
Fazit
Für den EuGH bietet sich nach seiner Entscheidung zur mangelnden Anwendbarkeit der Reparaturklausel im Markenrecht (Urteil v. 06. Oktober 2015, Az. C-500/14) die Möglichkeit, die Grenzen des Art. 110 Abs. 1 GGV noch klarer zu ziehen und damit Rechtssicherheit zu schaffen.
Die Problematik hinsichtlich der Frage, wann es sich um sog. must-match-Teile im Sinne des Art. 110 GGV handelt, ist schon lange umstritten. Hinzu kommt, dass sich jüngst ebenso der Corte di Appello di Napoli wie auch der Corte di Appello di Milano (C-397/16) mit der Reparaturklausel auseinanderzusetzen hatten. Allerdings vertraten diese im Interesse der Wettbewerbsfreiheit die gegenteiligen Ansicht und wollen die Reparaturklausel auch auf Kfz-Felgen anwenden.
Zwar ist die Begründung des BGH nachvollziehbar und sehr überzeugend: Dennoch scheint die Entscheidung des EuGH offen. Am Ende wird es darauf ankommen, wo der EuGH die Grenze zwischen Wettbewerbsfreiheit und den Interessen der Inhaber gewerblicher Schutzrechte zieht. Nach herrschendem deutschem Verständnis ist eine Felge allerdings kein bloßes Reparaturaustauschteil und daher bereits die erste Vorlagefrage im Sinne einer engen Auslegung von Art. 110 GGV zu bejahen.