Der Digital Services Act – Neue Regeln für Online-Plattformen

Von Prof. Dr. Stefan Engels, Dr. Nico Brunotte, Jonas Mücke und Christina Faltermeier

Um was geht es?

Am 16. November 2022 ist der Digital Services Act (im Folgenden: „DSA“) in Kraft getreten. Er richtet sich an Online-Vermittlungsdienste und insbesondere an Online-Plattformen. Nach Auslaufen der Übergangsfrist wird der DSA damit ab dem 17. Februar 2024 in der gesamten EU unmittelbar geltendes Recht sein.

Der DSA baut auf der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce-Richtlinie) auf, die  in Deutschland insbesondere im Telemediengesetz (TMG) umgesetzt ist. Die E-Commerce-Richtlinie wird durch den DSA teilweise übernommen bzw. ersetzt – z.B. hinsichtlich der Regelungen zu den Haftungsfreistellungen für Nutzerinhalte. In anderen Teil ergänzt der DSA die E-Commerce-Richtlinie, etwa bei den Informationspflichten für Anbieter von Online-Diensten.

In weiten Teilen geht der DSA jedoch über die Regelungen der E-Commerce-Richtlinie hinaus: Der DSA enthält zahlreiche neue Vorgaben, insbesondere zu dem gesetzgeberisch bisher kaum regulierten Umgang mit rechtswidrigen Nutzerinhalten. Die inhaltlich teilweise vergleichbaren Regelungen des deutschen Netzwerkdurchsuchungsgesetz (NetzDG), die im Wesentlichen jedoch nur für soziale Netzwerke mit mehr als 2 Millionen Nutzern in Deutschland gelten, werden mit Geltung des DSA aufgrund des Anwendungsvorrang des Europarechts verdrängt. Sie kommen dann also nicht mehr zur Anwendung.

Betreiber von Online-Vermittlungsdiensten und insbesondere Online-Plattformen sollten daher die Auswirkungen des DSA und etwaigen Anpassungsbedarf bei den eigenen digitalen Angebote frühzeitig prüfen.

Für wen gilt der DSA?

Der DSA gilt für Anbieter von digitalen Vermittlungsdienstleistungen und damit auch für Online-Plattformen.

Der Begriff der „digitalen Vermittlungsdienstleistungen“ meint – wie auch bei der E-Commerce-Richtlinie – alle Arten von Dienstleistungen der Informationsgesellschaft, wie beispielsweise die reine Durchleitung (z.B. durch einen Telekommunikationsdienstleister) oder automatische Zwischenspeicherung (z.B. das sogenannte Proxy-Caching, bei dem der Anbieter Informationen des Nutzers zum Beispiel für einen eventuellen erneuten Besuch des Nutzers oder zur Übermittlug an Dritte speichert) von Nutzerinformationen. Auch das sog. Hosting, also die Speicherung von Nutzerinformationen, ist erfasst.

Bei der E-Commerce-Richtlinie gilt für den räumlichen Anwendungsbereich das Herkunftslandprinzip, wonach ein Diensteanbieter (lediglich) die Vorschriften des Mitgliedstaates zu beachten hat, in dem er niedergelassen ist. Dieses Prinzip gilt für den DSA jedoch nicht. Wie schon die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) folgt der DSA dem Marktortprinzip und ist daher auf alle Anbieter digitaler Vermittlungsdienste, die ihre Leistung jedenfalls auch für im Gebiet der Europäischen Union (EU) ansässige Nutzer anbieten, anwendbar. Der DSA gilt somit unabhängig davon, ob der Anbieter seinen Sitz in der EU hat. Der Anwendungsbereich ist demnach sehr viel weiter.

Abhängig von der Art und Größe des Dienstes  können durch das abgestufte Regelungskonzept des DSA weitere  Pflichten für den Anbieter gelten. Anbieter, die Nutzerinformationen speichern (Hostinganbieter), müssen weitreichendere Pflichten beachten, als Anbieter, die diese nur durchleiten oder zwischenspeichern (sog. Caching). Sofern die Informationen durch den Anbieter nicht nur gespeichert, sondern auch verbreitet werden und es sich hierbei nicht um eine unbedeutende Nebenfunktion handelt, liegt eine „Online-Plattform“ vor. Für Anbieter von Online-Plattformen gelten dann noch umfassendere Pflichten.

Der Begriff der Online-Plattform ist ein Unterfall der „digitalen Vermittlungsdienstleistung“ und wird  ebenfalls weit verstanden.  Der Begriff  erfasst zahlreiche Angebote (insbesondere soziale Netzwerke und Online-Marktplätze). Für die Einstufung als Online-Plattform wird es regelmäßig genügen, dass die Erstellung von Nutzerprofilen oder die Interaktion mit anderen Nutzern ermöglicht wird.

Wann haften  Anbieter von digitalen Vermittlungsdiensten für die Inhalte ihrer Nutzer?

Die E-Commerce-Richtlinie enthält bereits Regelungen zur Haftung des Anbieters für Inhalte, die von Nutzern gespeichert wurden. Diese wurden in Deutschland in den §§ 7 ff. TMG umgesetzt. Diese Regelungen wurden unverändert in den DSA übernommen. Es ergibt sich insoweit daher keine Änderung der Rechtslage durch den DSA.

Anbieter von digitalen Vermittlungsdienstleistungen sind daher auch nach dem DSA für die Inhalte ihrer Nutzer grundsätzlich nur eingeschränkt verantwortlich. Dies gilt weiterhin, sofern sie sich zu diesen Inhalten neutral verhalten, sich diese also nicht zu eigen machen) und sich ihr Beitrag auf die bloße Durchleitung und/oder (Zwischen-)Speicherung der Inhalte beschränkt.

Damit gilt nach wie vor, dass Anbieter, die diese Voraussetzungen erfüllen, keine generelle Pflicht trifft, ihre Angebot auf rechtswidrige Nutzerinhalte hin zu überprüfen. Es genügt grundsätzlich, wenn Anbieter unverzüglich tätig werden, sobald sie Kenntnis von (eindeutig) rechtswidrigen Inhalten erhalten (sogenanntes Notice and take down-Verfahren).

Der DSA geht jedoch in zahlreichen Punkten über die E-Commerce-Richtlinie hinaus und  stellt gesteigerte Anforderungen an Anbieter digitaler Vermittlungsdienstleistungen. Diese gelten etwa beim Umgang mit rechtswidrigen Inhalten und darauf bezogene Meldungen von Nutzern. Diese Vorgaben gelten unabhängig von der Frage der Haftungsfreistellung nach §§ 7 ff. TMG und gehen über  die in  allgemeinen und besonderen Informationspflichten für Diensteanbieter aus § 5 f. TMG hinaus.

Was muss ich als Anbieter (einer Online-Plattform) beachten?

Der DSA legt Anbietern von digitalen Vermittlungsdiensten nach Größe und Funktion gesteigerte Pflichten auf, die sich im Wesentlichen in drei Kategorien unterteilen lassen:

  • Vorgaben zum Umgang mit (rechtswidrigen) Inhalten: Rechtswidrigen Inhalten soll durch Beschwerdemechanismen und Abhilfeverfahren wirksam begegnet werden;
  • Transparenz- und Berichtspflichten: Die Transparenz soll durch erhöhte Rechenschafts- und Berichtspflichten für Anbieter digitaler Dienste erhöht werden;
  • Informationspflichten und Vorgaben zur Gestaltung der Dienste: Die Nutzerautonomie und der Schutz Minderjähriger soll durch gesteigerte Informationspflichten und Vorgaben zur Gestaltung der Dienste gestärkt werden.

Aufgrund der enormen praktischen Bedeutung konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf Online-Plattformen, also nur einem Teil der vom DSA erfassten digitalen Vermittlungsdienste. Vorgaben, die nur für solche Online-Plattformen gelten, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen, sind nachfolgend berücksichtigt.

Die Vorschriften des DSA finden grundsätzlich auf Unternehmen jeder Größe Anwendung. Für Kleinunternehmen, also solche mit weniger als 50 Beschäftigten und maximal € 10 Millionen Jahresumsatz, gelten bestimmte Vorgaben nicht, die im Folgenden kursiv gedruckt sind.

Von dem Beitrag ausgenommen sind zusätzliche Anforderungen an Online-Plattformen sowie Online-Suchmaschinen mit mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern, also rund 10 % der Bevölkerung der EU (sog. sehr große Online-Plattformen bzw. sehr große Online-Suchmaschinen).

Demnach gelten für Online-Plattformen die folgenden Vorgaben:

Vorgaben zum Umgang mit (rechtswidrigen) Inhalten

Ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten muss Mechanismen vorhalten, um Rechtsverstöße aufzudecken und diesen wirksam zu begegnen. Bei der Ausgestaltung und Einrichtung seiner Dienste muss der Anbieter sowohl die Grundrechte des Nutzers, der eine Rechtsverletzung beanstandet, als auch die des Nutzers, dessen Inhalte von der Beanstandung betroffen sind, berücksichtigen. Zudem muss der Anbieter des Dienstes seine Entscheidung im Hinblick auf den Umgang mit den betreffenden Inhalten in jedem Fall begründen.

Im Einzelnen gelten die folgenden Pflichten:

      • Einrichtung eines Melde- und Abhilfeverfahrens;
      • Begründung von Beschränkungen (z.B. Löschung von einzelnen Inhalten, Sperrung von Nutzer-Accounts oder Unterlassung entsprechender Maßnahmen);
      • Mitteilungspflicht über geplante Straftaten, die Leben oder Sicherheit einer Person gefährden, an die zuständigen Behörden.

Die folgenden Pflichten gelten jedoch nicht für Online-Plattformen, die von Kleinunternehmen (s.o.) betrieben werden:

      • Einrichtung eines internen Beschwerdemanagementsystems für Beschwerden gegen Entscheidungen des Vermittlungsdienstes;
      • Information über den Zugang zu einer außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle hinsichtlich solcher Beschwerden;
      • Sperrung sowie Aussetzung der Bearbeitung von Beschwerden einzelner Nutzer im Falle missbräuchlicher Verwendung.

Transparenz- und Berichtspflichten  

Der DSA bestimmt, dass der Anbieter eines Online-Vermittlungsdienstes seine Dienstleistung nachvollziehbar und transparent gestalten muss. Rechtsverstöße müssen daher „im Nachgang“ dokumentiert und aufgearbeitet werden.

Im Einzelnen gelten die folgenden Pflichten:

      • Benennung einer Kontaktstelle für nationale Behörden;
      • Benennung einer Kontaktstelle für die Nutzer;
      • Jährliche Berichtspflicht bezüglich behördlicher Anordnungen, Beschwerden von Nutzern sowie der selbständigen Moderation von Inhalten;

Die folgenden Pflichten gelten jedoch nicht für Online-Plattformen, die von Kleinunternehmen (s.o.) betrieben werden:

      • Berichtspflichten hinsichtlich der Zahl der aktiven Nutzer und des Verfahrens über Rechtsverstöße;

Informationspflichten und Vorgaben zur Gestaltung der Dienste

Der DSA verpflichtet dazu, Verbraucher klar und verständlich etwa über die vorgehaltenen Maßnahmen (wie z.B. verwendete Algorithmen) und angebotenen Services zu informieren. Es verbietet daher sog. dark patterns, also Praktiken, mit denen die Fähigkeit der Nutzer, eine autonome und informierte Auswahl oder Entscheidung zu treffen, verzerrt oder beeinträchtigt wird (z.B. Entscheidungen des Nutzers werden beeinflusst, in dem Schaltflächen für bestimmte Antwortoptionen besonders groß und/oder prominent dargestellt werden). Wenn Minderjährige betroffen sind, gelten insoweit erhöhte Anforderungen. Kommt es zu rechtswidrigen Handlungen, hat der Verbraucher ein Informationsanspruch, um seine übrigen Rechte durchsetzen zu können.

Im Einzelnen gelten die folgenden Pflichten:

      • Informationspflicht über die eingesetzten Mechanismen zur Moderation von Inhalten sowie Algorithmen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB);

Die folgenden Pflichten gelten jedoch nicht für Online-Plattformen, die von Kleinunternehmen (s.o.) betrieben werden:

      • Gestaltungsvorgaben im Hinblick auf Websites und Mobil-Apps, die gewählte Gestaltung darf nicht zu einer unzulässigen Beeinflussung des Nutzers führen;
      • Pflichtangaben bei der Anzeige von Werbung (z.B. Identität des Werbenden);
      • Transparenz und Gestaltungsfreiheit eingesetzter Empfehlungssysteme, Nutzer müssen die wesentlichen Parameter erkennen und beeinflussen können;
      • Schutz Minderjähriger sowie Verbot von typischerweise Minderjährigen adressierender Werbung;
      • Angaben zur Identität des Unternehmers bei Online-Käufen sowie unionsrechtskonforme Gestaltung von Website und Mobil-App;
      • Aktive Informationspflicht des Anbieters gegenüber betroffenen Verbrauchern, wenn über seine Plattform rechtswidrige Produkte oder Dienstleistungen vertrieben werden.

Welche Sanktionen drohen im Falle eines Verstoßes?

Zuständig für die Durchsetzung des DSA sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedsstaaten einen „Koordinator für digitale Dienste“ benennen. Dieser erhält weitreichende Durchsetzungsbefugnisse, die auch die Sperrung des Online-Dienstes beinhalten. Insbesondere kann der „Koordinator für digitale Dienste“ Geldbußen gegen Anbieter von Online-Diensten verhängen. Der Höchstbetrag einer Geldbuße für Verstöße gegen den DSA liegt bei bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des jeweiligen Anbieters. Bei Verstößen wie irreführender, unvollständiger oder unrichtiger Auskünfte oder der Nichtduldung einer Nachprüfung kann die Strafe bis zu 1 Prozent des Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens betragen.

Darüber hinaus ermöglicht der DSA die Rechtsdurchsetzung durch Private. Den Nutzern eines Online-Dienstes sowie bestimmten privaten Einrichtungen und Organisationen steht ein Beschwerderecht zum „Koordinator für digitale Dienste“ offen. Mit dieser Beschwerde können Verstöße gegen den DSA gerügt werden und ein behördliches Verfahren gegen einen Online-Dienst in Gang gesetzt werden. Nutzer können ferner Schadensersatz von Anbietern von Vermittlungsdiensten für etwaige Schäden und Verluste vor nationalen Gerichten fordern, wenn der Online-Dienst gegen seine Verpflichtungen dem DSA verstößt.

Nur im Hinblick auf sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen obliegt die Rechtsdurchsetzung (auch) der EU Kommission, die die Rechtsaufsicht hinsichtlich der Einhaltung der Anforderungen des DSA durch diese Akteure ausübt. Der DSA sieht diesbezüglich vor, dass sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen mit bis zu 0,05 % ihres weltweiten Jahresnettoumsatzes an der jährlichen Aufsichtsgebühr zu beteiligen sind. Durch Verordnung hat die EU-Kommission nun Berechnungsparameter für die Beteiligungslast des einzelnen Akteurs – proportional zur Anzahl seiner monatlichen Nutzer sowie unter zusätzlicher Erhöhung, soweit eine bestimmte Nutzerzahl erreicht ist – festgelegt. Die Pflicht zur Beteiligung an den Kosten der Aufsicht gilt also präventiv, d.h. im Vorfeld sowie unabhängig eines Verstoßes gegen den DSA.

Wie geht es jetzt weiter?

Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und Online-Plattformen sollten zeitnah eine Bestandsaufnahme der angebotenen Leistungen durchführen und den durch den DSA entstehenden Anpassungsbedarf ermitteln.

Dabei sollten jedenfalls die folgenden Schritte vorgenommen werden:

  • Einordnung des eigenen Angebots in die Kategorien des DSA nach Art und Nutzerzahl des Angebots
  • Überprüfung, welche der einschlägigen Vorgaben bereits eingehalten werden und inwieweit noch Anpassungsbedarf besteht

Zu beachten ist, dass die Vorgaben des DSA  sehr umfassend sind .und zu den vielen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen der DSA noch keinerlei Gerichts- und/oder Behördenpraxis existiert.

Melden Sie sich daher gerne bei uns, sofern Sie Fragen haben und Unterstützung bei der Umsetzung des DSA benötigen.