Kilometerleasing – Quo Vadis?

Von Silke Goschler und Betina Fischer 

Beinahe auf den Tag zwei Jahre nach der Grundsatzentscheidung des BGH zur rechtlichen Einordnung von Kilometerleasingverträgen (VIII ZR 36/20) bahnt sich nun auch beim EuGH eine wegweisende Entscheidung an. Am 16.02.2023 hat erstmals ein Generalanwalt am EuGH zum Verbraucherwiderruf bei außerhalb von Geschäftsräumen bzw. im Fernabsatz geschlossenen Kilometerleasingverträgen Stellung genommen. Diese Thematik stellt die Leasingbranche in Deutschland angesichts divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung seit Jahren vor Herausforderungen. Eine baldige Entscheidung des EuGH wäre daher zu begrüßen.

I. Hintergrund

Am 24.02.2021 hatte der BGH eine lange währende Rechtsunsicherheit im Kfz-Leasing beendet. Seit diesem Zeitpunkt ist endlich geklärt, dass Kilometerleasing keine entgeltliche Finanzierungshilfe im Sinne des § 506 BGB (analog) ist. Was der BGH seinerzeit jedoch nicht zu entscheiden hatte, war die Frage, wie Kilometerleasing bei Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz einzuordnen ist. Dies wiederum ist wichtig, um die korrekte Widerrufsbelehrung gegenüber Verbrauchern zu verwenden. Während in der Folge die Instanzgerichte überwiegend zur Dienstleistung im Sinne der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) zu tendieren schienen (LG Stuttgart, Urteil vom 29.06.2021 – 8 O 30/21; OLG Hamm, Urteil vom 28.10.2021 – 18 U 60/21; OLG Köln, Urteil vom 24.03.2022 – 15 U 195/21), vertrat insbesondere das OLG München (Urteil vom 18.06.2020 – 32 U 7119/19; Vorlagebeschluss vom 21.06.2022 – 32 U 557/22) weiterhin die Auffassung, es handele sich beim Kilometerleasing um eine Finanzdienstleistung im Sinne der Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2002/65/EG). Die Leasingbranche befand sich damit in dem Dilemma, Widerrufsbelehrungen trotz aller Bemühungen kaum richtig formulieren zu können, da je nach Gericht andere Anforderungen gestellt wurden. Erfreulicherweise hatten seit der Entscheidung des BGH gleich mehrere Instanzgerichte (LG Ravensburg, Vorlagebeschlüsse vom 24.08.2021 – 2 O 238/20 sowie vom 28.09.2021 – 2 O 378/20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.09.2021 – 17 U 42/20; OLG München, Vorlagebeschluss vom 21.06.2022 – 32 U 557/22) sowie der BGH selbst (Beschluss vom 10.5.2022 – VIII ZR 149/21) dem EuGH Fragen im Zusammenhang mit Kilometerleasingverträgen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Eine erste Tendenz der europarechtlichen Sichtweise gab nun der Generalanwalt Anthony Michael Collins in seinen Schlussanträgen zu erkennen.

II. Die Schlussanträge

In seinen Schlussanträgen vom 16.02.2023 unter anderem in der Rechtssache C-38/21 kommt Generalanwalt Collins zu folgenden Ergebnissen (Anm.: Überschriften der Verfasserinnen):

  1. Kilometerleasingverträge sind Dienstleistungsverträge

Bei Leasingverträgen über Kraftfahrzeuge mit Kilometerabrechnung und einer Laufzeit von ca. zwei bis drei Jahren, die unter formularmäßigem Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts abgeschlossen wurden, die weder im Vertrag selbst noch in einem gesonderten Vertrag eine Verpflichtung des Verbrauchers zum Erwerb des Vertragsgegenstands vorsehen, bei denen aber davon auszugehen ist, dass eine solche Verpflichtung besteht, wenn der Leasinggeber darüber einseitig entscheidet, und bei denen der Verbraucher für eine Vollkaskoversicherung des Fahrzeugs zu sorgen hat, ihm außerdem die Geltendmachung von Mängelrechtengegenüber Dritten (insbesondere gegenüber Händler und Hersteller des Fahrzeugs) obliegt und er zudem das Risiko des Verlusts, der Beschädigung und sonstiger Wertminderungen trägt („Kilometerleasingverträge“), handelt es sich weder um Kreditverträge im Sinne von Art. 3 lit. c Richtlinie 2008/48/EG (sog. Verbraucherkreditrichtlinie) noch um Verträge über Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Nr. 12 Richtlinie 2011/83/EU (sog. Verbraucherrechterichtlinie) sowie Art. 2 lit. b Richtlinie 2002/65/EG (sog. Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie). Vielmehr sind Kilometerleasingverträge als Dienstleistungsverträge im Sinne von Art. 2 Nr. 6 Richtlinie 2011/83/EU einzuordnen.

  1. Geschäftsräume eines beauftragten Autohändlers können Geschäftsräume des Leasinggebers sein

Art. 2 Nr. 9 Richtlinie 2011/83/EU ist dahingehend auszulegen, dass die Geschäftsräume einer Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers gemäß Art. 2 Nr. 2 Richtlinie 2011/83/EU handelt, als „Geschäftsräume“ dieses Unternehmers anzusehen sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob der Vermittler unter den konkreten Umständen des bei ihm anhängigen Falles und nach nationalem Recht im Namen oder Auftrag des Unternehmers gehandelt hat, um den Kilometerleasingvertrag auszuhandeln oder abzuschließen.

  1. Keine Bereichsausnahme Kraftfahrzeugmiete

Art. 16 Buchstabe l Richtlinie 2011/83/EU ist dahingehend auszulegen, dass die dort vorgesehene Ausnahme („Dienstleistungen in den Bereichen […] Mietwagen“) nicht für Kilometerleasingverträge gilt.

  1. Mitwirkung eines beauftragten Autohändlers kann Fernabsatz ausschließen

Art. 2 Nr. 7 Richtlinie 2011/83/EU ist dahingehend auszulegen, dass ein Vertrag nicht als Fernabsatzvertrag eingestuft werden kann, wenn eine Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, an den Verhandlungen über diesen Vertrag bei körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers mitwirkt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob unter den konkreten Umständen des Falles der Vermittler nach nationalem Recht im Namen oder Auftrag des Unternehmers gehandelt hat, um den Kilometerleasingvertrag auszuhandeln.

III. Die praktischen Auswirkungen

Für die Beteiligten Vertragsparteien (Leasinggeber und privater Leasingnehmer) bedeutet dies, dass dem privaten Leasingnehmer beim Abschluss eines Kilometerleasingvertrags außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz mangels Vorliegens einer Bereichsausnahme immer ein gesetzliches Widerrufsrecht zusteht. Für das Anlaufen der vierzehntägigen Widerrufsfrist haben Leasinggeber ihre privaten Leasingnehmer ordnungsgemäß entsprechend der für Dienstleistungsverträge geltenden Vorschriften zu belehren.

Finden die Vertragsverhandlungen jedoch in den Geschäftsräumen von Autohäusern, die für einen Leasinggeber Leasingverträge mit den Verbrauchern anbahnen, mit deren entsprechend geschulten Mitarbeitern statt, liegt weder eine Außergeschäftsraum- noch eine Fernabsatzsituation vor, so dass auch kein Widerrufsrecht besteht.

IV. Kritik und Ausblick

Der Einschätzung des Generalanwalts ist überwiegend zuzustimmen. Kilometerleasingverträge sollten jedoch von der Bereichsausnahme des Art. 16 Buchstabe l Richtlinie 2011/83/EU erfasst sein, obgleich dieser als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist. Denn der Katalog ist lediglich hinsichtlich der aufgezählten Sektoren, mithin unter anderem des Beförderungssektors, abschließend zu verstehen. Auch bei Kilometerleasingverträgen müssen Leasinggeber Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Leistung zu dem in der Bestellung festgelegten Zeitpunkt treffen, so dass ihnen durch die Stornierung einer Bestellung unverhältnismäßige Nachteile entstehen können.

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob und inwieweit der EuGH in seinem Urteil, welches im Sommer 2023 erwartet wird, den Schlussanträgen des Generalanwaltes folgen wird. Jedenfalls wird mit einem Urteil des EuGH sowohl für Leasinggeber als auch für Verbraucher Rechtssicherheit erreicht.