von Prof. Dr. Stefan Engels, Dr. Beatrice Brunn und Annabel Schultz
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 25. November 2021 in dem Vorabentscheidungsverfahren der Rechtssache C-102/20 die Werbepraxis des Einblendens von E-Mail-ähnlichen Werbenachrichten in kostenlosen E-Mail-Postfächern („Inbox-Werbung“) beanstandet. Diese seien nur mit vorheriger Einwilligung der Empfänger zulässig. Damit werden werbende Unternehmen dazu verpflichtet, vor dem Einblenden von Werbenachrichten zumindest im kostenlosen E-Mail-Postfach eine entsprechende Zustimmung des Empfängers einzuholen.
Begründet wird diese Entscheidung vor allem damit, dass solche Werbenachrichten angesichts ihrer Ähnlichkeit mit „echten“ E-Mails eine Verwechslungsgefahr begründeten, die dazu führen könne, dass ein Nutzer durch Anklicken gegen seinen Willen auf die entsprechende Internetseite des Werbenden weitergeleitet wird. Daher sei es im Ergebnis auch gerechtfertigt, derartige „Inbox-Werbung“ wie elektronische Post zu behandeln und eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Postfachinhabers zu verlangen.
Was ist „Inbox-Werbung“?
Mit „Inbox-Werbung“ ist hier das Einblenden von E-Mail-ähnlichen Werbenachrichten im E-Mail-Postfach gemeint. In dem der EuGH-Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren ließ das beklagte Unternehmen eprimo GmbH durch eine Werbeagentur in privaten Posteingängen der Nutzer des kostenfreien E-Mail-Dienstes T-Online nach dem Zufallsprinzip Werbenachrichten einblenden, die einer E-Mail zum Verwechseln ähnlich sahen. Die Werbeeinblendungen unterschieden sich optisch von den im Posteingang angezeigten anderen E-Mails nur dadurch, dass das Datum durch die Angabe „Anzeige“ ersetzt war, kein Absender angegeben war und der Text grau unterlegt war. Klickte der Nutzer auf die eingeblendete Werbenachricht, wurde er auf die Seite des Werbenden weitergeleitet.
Konkurrentin rügte „Inbox-Werbung“ als wettbewerbswidrig
Die Städtischen Werke Lauf an der Pegnitz (StWL) hielten diese Werbepraxis für wettbewerbswidrig und nahmen die Konkurrentin aus diesem Grund auf Unterlassung in Anspruch. Das Gericht in erster Instanz gab der Klage statt, das Gericht in zweiter Instanz dagegen hielt die Werbenachrichten nicht für wettbewerbsrechtlich unzulässige geschäftliche Handlungen. Der BGH legte dann im Revisionsverfahren dem EuGH vorab Fragen zur Vereinbarkeit der „Inbox-Werbung“ mit dem Unionsrecht vor.
EuGH sieht in „Inbox-Werbung“ eine Verwendung für Zwecke der Direktwerbung
Der EuGH hat in seinem Urteil die Auslegungsfragen des BGH wie folgt beantwortet:
- Zunächst fallen die Werbenachrichten im E-Mail-Posteingang wegen ihrer Vergleichbarkeit mit sonstigen Spam-Mails unter den Begriff der „elektronischen Post“ im Sinne der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Art. 2 Abs. 2 lit. h der RL 2002/58/EG – ePrivacy-Richtlinie). Der Begriff ist laut dem EuGH technologieneutral und entwicklungsoffen zu verstehen. Wegen der Ähnlichkeit der Werbenachrichten mit „echten“ E-Mails bestehe ohnehin die Gefahr einer Verwechslung, wodurch der Nutzer durch das Anklicken der Werbezeile gegen seinen Willen auf die Internetseite des Werbenden weitergeleitet Um die Nutzer in ihrer Privatsphäre effektiv vor unerwünschten Direktwerbenachrichten zu schützen, sei daher die Einordnung der Werbenachrichten als „elektronische Post“ geboten.
- Des Weiteren stellte der EuGH fest, dass es sich bei dem bewussten Einblenden von Werbenachrichten in dem E-Mail-Postfach um eine „Verwendung elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne der ePrivacy-Richtlinie handelt. Denn dafür sei allein entscheidend, dass mit dem Schalten der Werbenachricht ein kommerzielles Ziel verfolgt wird und dass sich die Nachricht direkt und individuell an einen Verbraucher richtet. Irrelevant dagegen sei der Umstand, dass die Auswahl der Empfänger der Werbenachrichten nach dem Zufallsprinzip erfolge.
- Da eine Verwendung elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung nach der ePrivacy-Richtlinie nur zulässig ist, wenn ihr Empfänger zuvor darin eingewilligt hat, ergibt sich aus den vorigen Feststellungen des EuGH das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung auf Seiten des Empfängers (vgl. Art. 13 Abs. 1 der ePrivacy-RL). Das Einwilligungserfordernis gelte laut dem EuGH auch dann, wenn der E-Mail-Dienst kostenfrei, also werbefinanziert ist. Dazu muss der betroffene Nutzer ordnungsgemäß über die genauen Modalitäten der Verbreitung der Werbung informiert werden und seine Einwilligung ohne Zwang, für den konkreten Fall und in voller Kenntnis der Sachlage bekunden. Die Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt worden sind, obliegt im nächsten Schritt dem BGH.
- Ferner weist der EuGH darauf hin, dass „Inbox-Werbung“ ohne Einwilligung als „hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen“ im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) gilt, wenn die Werbenachrichten häufig und regelmäßig eingeblendet worden sind. Dies dürfte bei einer bloß dreimaligen Einblendung der Nachricht noch nicht der Fall sein. Wenn allerdings die „Inbox-Werbung“ häufiger, wiederholt und ohne entsprechende Zustimmung des Empfängers betrieben wird, gilt diese Werbemethode als unlautere Geschäftspraxis und kann daher wettbewerbsrechtlich nach §§ 3, 5a und 7 UWG beanstandet werden.
Praxishinweise
Durch die Entscheidung des EuGH wird die streitgegenständliche Werbepraxis mit E-Mail-ähnlichen Werbenachrichten im Posteingang eines kostenlosen E-Mail-Postfachs („Inbox-Werbung“) nicht unzulässig. Vielmehr ist bei Verwendung dieser Werbenachrichten lediglich darauf zu achten, dass eine vorherige ausdrückliche Zustimmung der Empfänger nach bekanntem Muster eingeholt wird. Dazu muss er hinreichend über die Art und Weise der geplanten Werbemethode informiert werden. In Hinblick auf die Erteilung der Einwilligung dürfte es aber ausreichen, wenn der E-Mail-Nutzer im Gegenzug zur (kostenlosen) Einrichtung des E-Mail-Postfachs zustimmt, dass ihm Werbung in sein E-Mail-Postfach übermittelt wird, die wie eine E-Mail aussieht. Ferner ist zu beachten, dass etwaige Widersprüche einzelner Nutzer eine einmal von ihnen erteilte Zustimmung zum Erlöschen bringen können, mit der Folge, dass die „Inbox-Werbung“ „unerwünscht“ wird und bei entsprechender Hartnäckigkeit eine wettbewerbsrechtlich unzulässige geschäftliche Handlung zu bejahen sein dürfte.