Von Dr. Nico Brunotte und Lennart Elsaß
Der Bundestag hat am heutigen Mittwoch ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie beschlossen. Es beinhaltet zahlreiche befristete Anpassungen des Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrechts. Das Gesetz wird erhebliche Auswirkungen auf eine Vielzahl an Verträgen im unternehmerischen Geschäftsverkehr haben. Welche Folgen das Gesetz hat und auf was sich Unternehmen einstellen müssen, beschreiben wir in diesem Beitrag.
Today, the German Bundestag passed a law to mitigate the impact of the COVID-19 pandemic. It includes numerous temporary adjustments to civil law, insolvency law and criminal procedural law. The law will have significant implications for a large number of business contracts. In this article we describe the ramifications and outline what companies must prepare for.
Der Hintergrund des neuen Gesetzes – die COVID-19-Pandemie beherrscht die Welt
Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 (COVID-19) hat in Deutschland und der Welt nicht nur den Alltag der Menschen, sondern auch das Wirtschaftsleben auf den Kopf gestellt. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verursachen Umsatz- und Einkommenseinbußen für Unternehmen und Privatpersonen, die von Schließungen von Einrichtungen und Betrieben oder der Absage von Veranstaltungen betroffen sind.
Die Einschränkung der Versammlungsmöglichkeiten erschwert auch die Handlungsfähigkeit von Unternehmen. Diese stehen vor dem Problem, auf herkömmlichem Weg kaum noch Beschlüsse im Rahmen von Versammlungen der zuständigen Organe herbeiführen zu können.
Nicht zuletzt leidet natürlich auch die Rechtspflege – Gerichte verschieben Termine, Verhandlungen fallen aus und Verfahren können nur erschwert vorangetrieben werden.
In Reaktion auf diese Entwicklungen hat der Bundestag heute als Teil eines Maßnahmenpakets das “Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht” beschlossen:
- Insbesondere wird Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags für Betriebe ausgesetzt, um die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie zahlungsunfähig geworden sind.
- Damit Unternehmen weiter Beschlüsse fassen und handlungsfähig bleiben können, sind auch Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen unter anderem der Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) sowie der Europäischen Gesellschaft (SE) vorgesehen. Insbesondere wird die Präsenzpflicht für Hauptversammlungen gelockert und die Online-Teilnahme auch ohne Ermächtigung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung ermöglicht.
- Strafverfahren können nun aufgrund von Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie auch deutlich länger unterbrochen werden, ohne dass das Verfahren ausgesetzt und neu begonnen werden muss.
- Besonderheiten ergeben sich schlussendlich auch für Verträge und das Zivilrecht.
Zeitweise Sonderregelungen für Verträge
Zentraler Teil des Gesetzes sind Erleichterungen für pandemiebedingte Zahlungsschwierigkeiten in Bezug auf bestimmte Dauerschuldverhältnisse, Miet- und Pachtverhältnisse sowie Darlehensverträge. Im Folgenden sollen die zeitlich beschränkten Modifikationen des Vertragsrechts und die Folgen für Unternehmen näher beleuchtet werden – kann Ihr Unternehmen ggf. hiervon profitieren oder ergeben sich stattdessen sogar Gefahren aus den Erleichterungen für Ihren eigenen Geschäftsbetrieb, wenn Vertragspartner Zahlungen unter Verweis auf das neue Gesetz einstellen?
Enthalten sind die Erleichterungen im neuen Art. 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), der wiederum mehrere Paragraphen enthält.
Leistungsverweigerungsrecht bei wesentlichen Dauerschuldverhältnissen – was bietet das Gesetz Unternehmen?
Der § 1 statuiert ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht für Dauerschuldverhältnisse. Dies sind Verträge, die auf wiederkehrende, sich über einen längeren Zeitraum wiederholende Leistungen und Gegenleistungen gerichtet sind. Dies können zum Beispiel Verträge über die Erbringung von Telekommunikationsleistungen oder Versicherungsverträge sein, aber auch etwa Dauerlieferungsverträge.
Nach Absatz 1 hat ein Verbraucher das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs zunächst bis zum 30. Juni 2020 verweigern, wenn
- der Anspruch im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag, also einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, steht,
- es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt,
- der Vertrag vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde,
- der Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre, und
- es sich um ein wesentliches Dauerschuldverhältnis handelt, das zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich ist.
Aber auch einigen Unternehmen wird ein solches Leistungsverweigerungsrecht gewährt. Nach Absatz 2 der Vorschrift haben nämlich auch Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von unter zwei Millionen Euro das Recht, Leistungen zunächst bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn
- der Anspruchs im Zusammenhang mit einem Dauerschuldverhältnis steht,
- der Vertrag vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde,
- infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, entweder das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann oder dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre, und
- es sich um ein wesentliches Dauerschuldverhältnis handelt, das zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung ihres Erwerbsbetriebs erforderlich ist.
Erfasst sind also nicht alle Dauerschuldverhältnisse, sondern nur solche, die “wesentlich” sind. Als Beispiele hierfür werden in der Gesetzesbegründung
- Pflichtversicherungen,
- Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste,
- sowie zivilrechtliche Verträge über die Wasserver- und -entsorgung
genannt. Welche weiteren Verträge hierunter gefasst werden können, kann nur im Einzelfall entschieden werden.
Da der Anspruch nur “im Zusammenhang” mit dem Dauerschuldverhältnis stehen muss, können nicht nur Entgeltforderungen erfasst sein, sondern auch etwa Rückgewähr-, Schadensersatz und Aufwendungsersatzansprüche.
Da es sich um ein Leistungsverweigerungsrecht handelt, muss es vom betroffenen Verbraucher oder Unternehmen ausgeübt, sich also gegenüber dem Vertragspartner darauf berufen werden. Der Verbraucher bzw. das Unternehmen trägt dann die Beweislast, muss also gegenüber seinem Vertragspartner belegen, dass er tatsächlich infolge der Pandemie nicht leisten kann. Die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts sorgt dafür, dass der Anspruch auf die Leistung im privilegierten Zeitraum nicht durchgesetzt werden kann, der Schuldner nicht in Verzug gerät und keine Schadensersatzansprüche wegen der Nichtleistung entstehen. Die primäre Leistungspflicht bleibt allerdings bestehen und muss nach Ablauf des Moratoriums erfüllt werden.
Das Leistungsverweigerungsrecht ist ausgeschlossen, wenn die Ausübung für den Gläubiger seinerseits unzumutbar ist. Dies soll im Falle des Leistungsverweigerungsrechts für Kleinstunternehmen nach § 1 Abs. 2 etwa anzunehmen sein, wenn die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts des Gläubigers oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Gewerbebetriebs führen würde. In diesem Fall steht dem Schuldner aber ein Kündigungsrecht zu.
Des Weiteren gilt das Leistungsverweigerungsrecht nicht im Zusammenhang mit Miet- und Pachtverträgen über Grundstücke oder Räume, Darlehensverträgen sowie arbeitsrechtlichen Ansprüchen. Während die Nichtgeltung für arbeitsrechtliche Ansprüche damit begründet wird, dass das Arbeitsrecht bereits ausreichend differenzierte Regelungen bereithält, ist der Grund für die Ausnahme von Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen, dass das Gesetz selber speziellere Vorgaben enthält.
Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen – auch Gewerberaummietverträge erfasst
So enthält nämlich der § 2 des neuen Art. 240 EGBGB Beschränkungen der Möglichkeit der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen. Hintergrund ist, dass Mietverhältnisse aus wichtigem Grund gekündigt werden können, wenn der Mieter entweder für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder aber in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht (§ 543 Absatz 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)).
Um zu verhindern, dass vor Ende der Einschränkungen des Wirtschaftslebens oder zumindest der Gewährung finanzieller Unterstützung von staatlicher Seite infolge eines pandemiebedingten finanziellen Engpasses der Vertrag gekündigt wird, normiert die neue Vorschrift, dass der Vermieter ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen kann, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet – dies aber nur, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und der Mieter dies glaubhaft macht.
Dies gilt nicht nur für Wohn-, sondern auch für Gewerberaummietverträge. Der Zusammenhang zwischen der Pandemie und der Nichtleistung muss dabei vom Mieter glaubhaft gemacht werden, was im Falle von Gewerbeimmobilien regelmäßig durch den Hinweis auf eine öffentlich-rechtliche Untersagung oder erhebliche Einschränkung des Betriebs erfolgen kann. Die Möglichkeit zur Kündigung aus einem anderen Grund, etwa wegen einer sonstigen Vertragsverletzung, bleibt jedoch unberührt.
All dies gilt entsprechend auch für Pachtverträge.
Stundung von Ansprüchen aus Darlehensverträgen
Der § 3 Abs. 1 regelt schließlich, dass für Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt, dass Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Nicht zumutbar soll ihm die Erbringung der Leistung insbesondere dann sein, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist.
Nach § 3 Abs. 3 ist auch die Kündigung des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs, wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Verbrauchers oder der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit in diesem Fall bis zum Ablauf der Stundung ausgeschlossen.
Aktuell gilt diese Vorschrift zwar nur für Verbraucher. In § 3 Abs. 8 wird die Bundesregierung jedoch ermächtigt, den personellen Anwendungsbereich zu erweitern. Danach besteht die Möglichkeit, auch insbesondere Kleinstunternehmen in den Anwendungsbereich einzubeziehen. Das Wort “insbesondere” deutet dabei daraufhin, dass bei Annahme einer entsprechenden Schutzbedürftigkeit unter Umständen auch größere Unternehmen in den Anwendungsbereich aufgenommen werden könnten.
Ausblick – kann die Geltung der Maßnahmen verlängert werden?
Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass die Bundesregierung annimmt, dass die pandemiebedingten Beschränkungen des Wirtschaftslebens in absehbarer Zeit schrittweise aufgehoben werden können und die damit verbundenen Folgen sich sodann sukzessive abmildern. Dem Gesetz liegt insofern die Vermutung zugrunde, dass Schuldner zur Jahresmitte wieder in der Lage sein werden, ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen, weshalb sich die Vorschriften zunächst nur auf Zahlungspflichten bis zum 30. Juni 2020 beziehen.
Art. 240 EGBGB § 4 enthält jedoch bereits die Ermächtigung der Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Dauer der Maßnahmen zu verlängern, wenn zu erwarten ist, dass das soziale Leben, die wirtschaftliche Tätigkeit einer Vielzahl von Unternehmen oder die Erwerbstätigkeit einer Vielzahl von Menschen durch die COVID-19-Pandemie weiterhin in erheblichem Maße beeinträchtigt bleibt.
Es bleibt also abzuwarten, wann sich die Lage wieder entspannt und auch der Rechtsverkehr wieder zur Normalität zurückkehren kann.