EuGH: Gerichtsort am Interessenmittelpunkt einer Person erfordert bei einer behaupteten Persönlichkeitsrechtverletzung im Internet die Identifizierbarkeit des Anspruchstellers

Von Prof. Dr. Stefan Engels und Alexander Faid

Ausgangslage

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17. Juni 2021 (Rechtssache C-800/19) seine „e-Date“ Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass eine gerichtliche Zuständigkeit aufgrund einer unerlaubten Handlung (vorliegend Persönlichkeitsrechtsverletzung) in einem anderen Mitgliedsstaat als dem des Beklagten (und Urheber der Verletzungshandlung) gem. Art 7 Nr. 2 EuGVVO zusätzlich voraussetzt, dass der Kläger durch die vorgetragene (Persönlichkeits-) Rechtsverletzung auch objektiv nachprüfbar identifiziert werden kann. Denn erst dann ist es für den Beklagten überhaupt vorhersehbar, an welchem Ort er einer möglichen Klage potentiell ausgesetzt sein kann.

Sofern die Rechtsschutz begehrende Person in einem angegriffenen Beitrag identifizierbar ist, kann sich die Zuständigkeit grundsätzlich an dem Ort ergeben, an welchem sich der Mittelpunkt der Interessen (welches regelmäßig der Ort des tatsächlichen Aufenthalts sein wird) dieser Person befindet  (vgl. EuGH C-509/09 „eDate Advertising“, EuGH C-194/16 „Bolagsupplysningen und Ilsjan“).

With Judgement of June the 17th the European Court of Justice ruled that a special jurisdiction in matters relating to an unlawful act (in this case an infringement of personality rights) can only arise in a Member State other than that of the defendant (and author of the infringing act) in cases in which the plaintiff can also be objectively verifiably identified by the alleged (personality) rights infringement. Only then is it at all foreseeable for the defendant at which location he may potentially be suspended to a possible lawsuit.

Die Entscheidung des EuGH

Im konkreten Fall hatte ein polnischer Staatsangehöriger vor einem Gericht in Warschau geklagt, obgleich der beklagte Verlag seinen Gesellschaftssitz in Regensburg hatte und der im Streit stehende Zeitungsartikel weder den Kläger selbst adressierte noch einen besonderen Bezug zu dessen Heimatland Polen aufwies.

Vielmehr wurde dem Verlag vorgeworfen für wenige Stunden auf der verlagseigenen Webseite einen Artikel öffentlich zugänglich gemacht zu haben, der u.a. das Schicksal jüdischer Holocaust-Überlebender thematisierte. Fälschlicherweise wurde dabei über Geschehnisse „im polnischen Vernichtungslager Treblinka“ berichtet, statt zutreffend und historisch unbestritten von einem nationalsozialistischen Vernichtungslager im von Deutschland besetzten Polen zu sprechen. Bereits wenige Stunden nach der missglückten Veröffentlichung änderte der Verlag schließlich die Textpassage in die richtige Formulierung um. Trotz der nur für kurze Zeit bestehenden Abrufmöglichkeit nahm der Kläger den Artikel angeblich wahr und sah sich durch ihn in seiner nationalen Identität und Würde verletzt. Eine entsprechende Persönlichkeitsrechtsverletzung machte er anschließend vor einem Bezirksgericht in Warschau geltend.

Hier setzt auch die Entscheidung an, indem sie die Bedingungen für die Zuständigkeit eines Gerichts an dem Ort, an dem der vermeintlich Geschädigte seinen Interessenmittelpunkt hat, weiter präzisiert. Die Zielsetzung der europäischen Gerichtsstands-Verordnung Rechtsklarheit im Hinblick auf den möglichen Ort einer Klage zu schaffen, wäre unterlaufen, wenn der beklagte deutsche Verlag in einem anderen Land verklagt werden könnte, obwohl ein inhaltlicher Bezug zum dort lebenden Kläger auch bei verständiger Würdigung zu keiner Zeit vorhersehbar war. Gleiches gilt für die erforderliche besonders enge Verbindung zwischen dem Sitz des Beklagten und dem Ort des zuständigen Gerichts. Subjektive Empfindungen oder Gefühlsregungen eines Klägers in einem anderen Mitgliedstaat können eine solche Verbindung nicht herstellen, solange diese Elemente den Kläger nicht objektiv aus der Sicht des Beklagten erkennbar erscheinen lassen.

Fazit und Praxishinweis

Die Entscheidung hat in ihrem Ergebnis hohe praktische Relevanz, da sich gerichtliche Zuständigkeitsfragen besonders bei Internet-Sachverhalten aufgrund der weltweiten Verfügbar- und Abrufbarkeit immer wieder stellen.

In derartigen Konstellationen wird der EuGH nicht müde zu betonen, dass der Ort einer Klage nur dort liegen kann, wo dieser für den Beklagten auch vorhersehbar ist und eine hinreichend enge Beziehung zum Rechtsstreit besteht.

Für diese enge Beziehung soll es nun nicht genügen, wenn ein allgemein gehaltener Artikel möglicherweise Gefühle einer großen Personengruppe berührt, zu derer sich ein in einem anderen Mitgliedstaat lebender Kläger zugehörig fühlt. Denn dies könnte zur Konsequenz haben, dass sich ein Interessenmittelpunkt von Personen aus dieser Gruppe einzig aufgrund ihrer (emotionalen) Verbundenheit prinzipiell in jedem Mitgliedstaat ergeben kann, in dem sie sich schwerpunktmäßig aufhalten. Vielmehr sollen Medien-Unternehmen bei ihrer Berichterstattung davon ausgehen dürfen nur in solchen Ländern verklagt zu werden, in denen eine dort wohnhafte Person im streitgegenständlichen Artikel auch namentlich (oder vergleichbar identifizierbar) erwähnt und somit erkennbar gemacht wird.