BGH: Abrufbarkeit eines Fotos allein nach Eingabe eines 70-stelligen Links ist keine Urheberrechtsverletzung

Von Lennart Elsaß

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden, dass keine das Urheberrecht verletzende öffentliche Zugänglichmachung vorliegt, wenn ein Foto nur (noch) nach Eingabe einer 70 Zeichen langen URL abrufbar ist (Urteil vom 27.05.2021, Az. I ZR 119/20). Die Erwägungen des Gerichts dürften dabei auch über das Urheberrecht hinaus von Bedeutung sein. Sie können insbesondere auf Streitigkeiten im Bereich des Presse- und Äußerungsrechts übertragen werden.

In a recently published decision, the German Federal Court of Justice ruled that hat the accessibility of a photo only after entering a URL of approximately 70 characters does not qualify as making the photo available to the public and therefore cannot be considered a copyright infringement. The reasoning of the court may however be of relevance beyond copyright law. It can be in particular applicable to disputes in the area of press law.

Sachverhalt

Der Kläger ist Berufsfotograf. Der Beklagte verwendete mehrere vom Kläger angefertigte Lichtbilder im Rahmen von Anzeigen für den Verkauf von Lautsprechern auf Internet-Handelsplattform „eBay Kleinanzeigen“. Nach einer Abmahnung verpflichtete der Beklagte sich, es bei Meidung einer Vertragsstrafe zu unterlassen, die Lichtbilder im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne die hierfür erforderlichen Rechten innezuhaben.

Auch danach waren die Fotos weiter abrufbar- allerdings nur (noch) nach Angabe einer vielstelligen URL in die Adresszeile des Browsers. Soweit ersichtlich waren die Anzeigen selbst samt den Verlinkungen auf die Fotos zwar entfernt worden, die Grafik-Dateien jedoch weiter abrufbar. Die URL, die zu dem in der Revisionsinstanz noch streitgegenständlichen Foto führte, bestand dabei aus ca. 70 Groß und Klein geschriebenen Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern. Der Kläger verlangte daraufhin erneut Unterlassung sowie die Zahlung einer Vertragsstrafe. Vom Landgericht Frankfurt am Main wurde seine Klage jedoch abgewiesen und auch seiner hiergegen gerichteten Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main war kein Erfolg beschieden.

Die Entscheidung des BGH

Der Kläger unterlag schließlich auch vor dem BGH, der die Revision des Klägers zurückwies. Die Karlsruher Richter verneinten ebenfalls einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung, und zwar sowohl auf der Grundlage des Unterlassungsvertrags als auch der gesetzlichen Regelung in § 97 Abs. 1 UrhG.

Die Abrufbarkeit des Fotos unter der URL mit über 70 Stellen sei nicht als öffentliche Zugänglichmachung zu qualifizieren. In § 19a UrhG wird das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung definiert als das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Der BGH ging davon aus, dass der Formulierung im Unterlassungsvertrag die gleiche Bedeutung zukommen sollte wie der gesetzlichen Regelung.

Die deutsche Regelung müsse richtlinienkonform, also insbesondere in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG ausgelegt werden. Dort ist das ausschließliche Recht geregelt, die öffentliche Wiedergabe von Werken zu erlauben oder zu verbieten. Die öffentliche Wiedergabe stellt dabei einen Überbegriff zur öffentlichen Zugänglichmachung dar. Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in diesem Sinne setzt allgemein erstens voraus, dass eine Wiedergabe vorliegt, und diese zweitens auch öffentlich erfolgt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für letzteres wiederum erforderlich, dass es eine „unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten“ gibt und es sich hierbei um „recht viele Personen“ handelt (so etwa EuGH, Urteil vom 08.09.2016, Rs. C-160/15 Rn. 36 – GS Media BV/Sanoma Media Netherlands BV).

Nach Ansicht des BGH nahm das Berufungsgericht zu Recht an, dass es im zu entscheidenden Fall an der Zugriffsmöglichkeit für „recht viele Personen“ gefehlt habe. Aufgrund des Erfordernisses der Eingabe einer ca. 70-stelligen URL sei der Zugriff schließlich faktisch auf Personen beschränkt, die diese Adresse zum Zeitpunkt, als das Foto noch in die Anzeige eingebunden war, abgespeichert, oder sie sonst in irgendeiner Weise notiert oder kopiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden sei. Der Kläger hatte sich zwar ebenfalls darauf berufen, dass Suchmaschinen im Internet verfügbare Inhalte auch ohne Kenntnis von der konkreten URL finden könnten. Dieser Behauptung erfolgte jedoch erst in der Berufungsinstanz und damit verspätet, weshalb sie nach Ansicht des BGH nicht mehr berücksichtigt werden musste.

Da mangels Vorliegen einer öffentlichen Zugänglichmachung auch kein Verstoß gegen den Unterlassungsvertrag vorlag, lehnte der BGH auch das Bestehen eines Anspruchs auf Zahlung einer Vertragsstrafe ab.

Praxishinweis

Nach Abgabe einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtungserklärung oder dem Erlass eines zur Unterlassung verpflichtenden Titels stellt sich für den Schuldner regelmäßig die Frage, was er tun muss, um den sich daraus ergebenden Pflichten nachzukommen. Es entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH, dass hierfür regelmäßig nicht das rein passive Unterlassen im Wortsinn ausreicht, sondern im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auch die Beseitigung eines geschaffenen Störungszustandes, also ein aktives Tun erforderlich ist (siehe etwa Urt. v. 18.09.2014, Az. I ZR 76/13 Rn. 62 ff. – CT-Paradies). Im Falle von Urheberrechtsverletzungen in Form des Einstellens von Fotografien in das Internet müssen diese daher auch wieder aus dem Internet entfernt werden, um der Unterlassungspflicht zu genügen.

Einige Oberlandesgerichte sahen in der Vergangenheit bereits in der abstrakten Möglichkeit des Abrufs der Inhalte durch Internetnutzer unabhängig von einer konkreten Wahrscheinlichkeit hierfür eine Verletzung (siehe etwa Kammergericht, Urteil vom 29.7.2019, Az. 24 U 143/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.09.2012, Az. 6 U 58/11; OLG Hamburg, Beschluss vom 08.02.2010, Az. 5 W 5/10). Da es allerdings praktisch ausgeschlossen erscheint, dass Internetnutzer zufällig eine derart lange URL in die Adresszeile ihres Browsers eingeben und so direkt zur Datei gelangen und kaum ein Betrachter sich die nur zum Bild führende Adresse abgespeichert haben dürfte, um es später noch einmal aufzurufen, ist es überzeugend, dass der BGH dieser Ansicht nun entgegentritt. Nach der Löschung der Anzeige und der darin enthaltenen Verlinkung zum Foto, die diesem zuvor zumindest eine gewisse Öffentlichkeit bescherte, fehlte es schließlich am Vorliegen eines Störungszustands, der noch zu beseitigen gewesen wäre.

Wer sich auf einen Verstoß allein durch die Abrufbarkeit eines Foto nach Eingabe eines langen Deep-Links beruft, muss also fortan konkret darlegen und beweisen, dass auch tatsächlich „recht viele Personen“ die realistische Möglichkeit eines Zugriffs haben. Die pauschale Behauptung einer Auffindbarkeit über Suchmaschinen dürfte hierfür nicht ausreichen. Vielmehr muss insofern konkreter Vortrag dazu erfolgen, dass die Datei von gängigen Suchmaschinen indexiert und auch tatsächlich Nutzern als Suchergebnis präsentiert wurde.

Auch wenn sich der BGH bei der Begründung der Entscheidung zentral auf die unionsrechtliche Überformung des Urheberrechts stützte, sind die Erwägungen auch auf Fallkonstellationen in anderen Rechtsgebieten übertragbar. So schützt etwa das Kunsturhebergesetz (KUG) lediglich vor einer „Verbreitung“ oder „öffentlichen Zurschaustellung“ von Bildnissen. Diese Modalitäten dürften kaum erfüllt sein, wenn eine Foto-Datei faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur noch nach Direkteingabe einer langen URL erreichbar ist. Dies kann also weder die Verpflichtung zur Zahlung von Vertragsstrafen noch die Verhängung von Ordnungsmitteln rechtfertigen.