BGH-Eilentscheidung: Bundeskartellamt gelingt Etappensieg gegen Facebook

Von Jan Dreyer, André Köhler und Katharina Pauls

Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat in der mit Spannung erwarteten Entscheidung im Verfahren gegen Facebook wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (KVR 69/19 – Beschluss vom 23. Juni 2020) die Entscheidung des Bundeskartellamts („BKartA“) vorläufig bestätigt – es bestünden keine ernsthaften Zweifel, dass Facebook seine marktbeherrschende Stellung mit den vom BKartA untersagten Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutze. Dies bedeutet, dass Facebook die Entscheidung – jedenfalls bis ein rechtskräftiges Urteil in der Hauptsache ergangen ist – umsetzen muss. Demnach ist es Facebook untersagt, Nutzerdaten aus Drittquellen (d.h. konzerneigenen Diensten und Internetseiten Dritter) zu sammeln, Facebook-Konten zuzuordnen und weiter zu verarbeiten.

In the eagerly awaited decision in the proceedings against Facebook for abuse of a dominant position (KVR 69/19 – decision of 23 June 2020), the German Federal Supreme Court (“BGH”) provisionally confirmed the decision of the Federal Cartel Office (“BKartA”). According to the BGH, there were no serious doubts that Facebook was abusing its dominant position with the terms of use prohibited by the BKartA. This means that Facebook must implement the decision – at least until a legally binding judgment has been issued in the main proceedings. Accordingly, Facebook is prohibited from collecting user data from third party sources (i.e. services within the group and third party websites), assigning the data to Facebook accounts and further processing it.

Im Mittelpunkt der Entscheidung des BGH stehen die Nutzungsbedingungen von Facebook, die nicht nur die Verarbeitung jener personenbezogenen Daten regeln, die die Nutzer auf der Plattform selbst preisgeben. Vielmehr erlauben die Nutzungsbedingungen – ohne dem Nutzer eine Wahl zu geben – das Erheben, Zusammenführen sowie das weitere Verarbeiten sämtlicher personenbezogener Daten, die der Nutzer auf konzerneigenen Diensten (WhatsApp, Instagram, etc.) oder auch externen Diensten, etwa durch Verwendung von „Like“ oder „Share-Buttons“ auf Webseiten Dritter, hinterlässt. Ob die von Facebook vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten mit den Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (“DSGVO”) in Einklang steht, ist nach Ansicht des BGH für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht maßgeblich. Hierzu hat sich der BGH dementsprechend auch nicht geäußert. Im Fokus standen vielmehr die Nutzungsbedingungen.

Auf der einen Seite kommt die Entscheidung und insbesondere die Deutlichkeit, mit der der BGH den Missbrauchstatbestand bejaht, durchaus überraschend. Das Oberlandesgericht Düsseldorf („OLG Düsseldorf“) als Vorinstanz hatte der Ansicht des BKartA noch relativ unmissverständlich einen Riegel vorgeschoben. Auf der anderen Seite hat der BGH in der letzten Zeit häufiger Entscheidungen des OLG Düsseldorf in Kartellsachen – mit teilweise sehr deutlichen Worten – aufgehoben.

Rechtlicher Hintergrund

Gesetzliche Grundlage für das Eingreifen des BKartA ist der Missbrauchstatbestand des § 19 Abs. 1 GWB, wonach die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten ist. Eine auf § 19 Abs. 1 GWB beruhende Entscheidung setzt stets die Feststellung einer markbeherrschenden Stellung im Sinne des § 18 GWB voraus. Eine marktbeherrschende Stellung setzt dem Gesetzeswortlaut nach voraus, dass ein Unternehmen auf einem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung ha

Beschluss des BKartA, gegen den sich Facebook wendet

Das BKartA leitete im März 2016 ein Verfahren gegen Facebook wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ein und schloss dieses mit Beschluss vom 06.02.2019 mit einer sog. Abstellungsverfügung ab. Dabei handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der zunächst keine Bußgeldkonsequenz hat. Das BKartA untersagte Facebook mit seiner Entscheidung im Wesentlichen, Nutzerdaten aus Drittquellen zu sammeln, Facebook-Konten zuzuordnen und weiter zu verarbeiten. Drittquellen sind dabei einerseits Drittseiten, die mit Schnittstellen, wie z.B. dem “Like-” oder “Share-Button”, versehen sind oder auf denen der Analysedienst “Facebook Analytics” eingesetzt wird. Zu Drittquellen gehören daneben aber auch die konzerneigenen Dienste wie Instagram oder WhatsApp. Das „Konzernprivileg“ des Kartellrechts wendet das BKartA hier also auf den Missbrauchstatbestand – wohl konsistent – nicht an.

Nach Ansicht des BKartA ist Facebook mit einem Marktanteil von über 90% im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland marktbeherrschend. Das Sammeln und Verarbeiten von Daten aus Drittquellen ist laut BKartA missbräuchlich, da dies gegen Bestimmungen der DSGVO verstoße. Grund für diese Wertung ist u.a., dass es laut BKartA zu einem Kontrollverlust für den Nutzer komme: Er könne nicht mehr selbstbestimmt über seine personenbezogenen Daten verfügen. Es sei zudem nicht überschaubar, welche Daten aus welchen Quellen für welche Zwecke genutzt werden.

Facebook legte gegen diesen Beschluss des BKartA Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein und beantrage gleichzeitig die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

OLG Düsseldorf ordnet aufschiebende Wirkung der Beschwerde von Facebook an

Letzterem Antrag gab das OLG Düsseldorf Ende August 2019 statt und ordnete die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an. Die im Eilverfahren erlassene Anordnung begründeten die Richter aus Düsseldorf mit ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses des BKartA, wobei die abschließende Entscheidung im Beschwerdeverfahren in erster Instanz nach wie vor aussteht.

Nach summarischer Prüfung kam der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf zu der Ansicht, dass weder ein relevanter Wettbewerbsschaden noch eine wettbewerbliche Fehlentwicklung zu besorgen sei. Das für den Missbrauch von Marktbeherrschung vorausgesetzte wettbewerbsschädliche Verhalten läge jedenfalls nicht in einer möglichen Ausbeutung der Nutzer durch die von Facebook verwendeten Nutzungsbedingungen zur plattformübergreifenden Datenverknüpfung. Dies gelte selbst bei Unterstellung der vom BKartA bemängelten Datenschutzrechtsverstöße, die für sich genommen noch keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellten.

Hierzu führt der Beschluss unter anderem aus, dass es Facebook-Nutzern unbenommen bleibe, die preisgegebenen Daten beliebig oft zu duplizieren und so auch Wettbewerbern zur Verfügung zu stellen. Die Marktmacht von Facebook führe auch nicht zu einer Fremdbestimmtheit der Nutzer, sodass diese weiterhin autonom in die Datenverarbeitung einwilligen könnten. Ein Kontrollverlust liege gerade nicht vor, da zum maßgeblichen Zeitpunkt der Registrierung keine Abhängigkeit von Facebook bestehe. Eine etwaige Unkenntnis über den Inhalt der Nutzungsbedingungen sei Ausdruck von Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit der Nutzer, aber nicht von Marktmacht.

Aus kartellrechtlicher Sicht fehle es daher jedenfalls an dem zu erbringenden Nachweis eines Kausalzusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung und dem angeblichen Verstoß gegen Datenschutzrecht.

Gegen die vom OLG Düsseldorf gewährte Anordnung der aufschiebenden Wirkung legte das BKartA Rechtsbeschwerde ein, weshalb nun die Entscheidung durch das oberste deutsche Gericht anstand.

BGH lehnt die aufschiebende Wirkung der Beschwerde von Facebook ab

Mit Beschluss vom 23.06.2020 hat der BGH die Entscheidung des OLG Düsseldorfs nun aufgehoben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgelehnt.

Anders als das BKartA stellt der BGH jedoch nicht auf etwaige Verstöße gegen die DSGVO ab. Nach Ansicht des obersten deutschen Gerichts sei für die Wertung der Nutzungsbedingungen als missbräuchlich vielmehr entscheidend, dass diese Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit lassen,

  1. ob sie das Netzwerk mit einer intensiveren Personalisierung des Nutzungserlebnisses verwenden wollen, was den unbeschränkten Zugriff auf Daten ihrer Internetnutzung auch außerhalb von Facebook beinhaltet, oder
  2. ob sie sich nur mit einer Personalisierung einverstanden erklären wollen, die auf Daten beruht, die sie selbst auf facebook.com preisgeben.

Durch diese Argumentation umgeht der BGH etwaige Probleme im Rahmen des Kausalzusammenhangs zwischen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook und einem Verstoß gegen das Datenschutzrecht, die die Vorinstanz noch bemängelt hatte.

Neben Beeinträchtigungen der persönlichen Autonomie und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Facebook-Nutzer, stelle die fehlende Wahlmöglichkeit auch eine kartellrechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar. Denn der Wettbewerb könne wegen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook seine Kontrollfunktion nicht mehr wirksam ausüben. Dabei gehe aus den Feststellungen des BKartA hervor, dass sich ein erheblicher Teil der privaten Facebook-Nutzer einen geringeren Umfang der Preisgabe persönlicher Daten wünsche. Im Falle eines funktionierenden Wettbewerbes auf dem Markt für soziale Netzwerke wäre ein entsprechendes Angebot zu erwarten.

Die Karlsruher Richter führen weiter aus, dass Facebook als Betreiber eines sozialen Netzwerkes auf zwei Märkten tätig ist: Zum einen in der Bereitstellung einer Social-Media Plattform für private Nutzer und außerdem im Markt für Online-Werbung.

Durch die Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke, die es Facebook erlaubt, eine große Menge an Daten sowohl durch Facebook-eigene als auch Dritt-Dienste zu erheben und zu weiter zu verarbeiten, könne es nach Auffassung des BGH auch zu Beeinträchtigungen auf dem Markt für Online-Werbung kommen. Denn die entsprechenden Werbeverträge in diesem Bereich hingen insbesondere von Umfang und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten ab.

Der BGH betont in diesem Zusammenhang, dass es keiner Feststellung bedürfe, – anders als noch die Vorinstanz – dass es einen eigenständigen Markt für Online-Werbung für soziale Medien gebe und Facebook dort eine marktbeherrschende Stellung inne habe. Denn die Beeinträchtigung müsse nicht zwingend auf dem beherrschten Markt (also dem Markt für Soziale Netzwerke) eintreten, sondern könne auch auf einem nicht beherrschten Drittmarkt eintreten (Markt für Online Werbung). Deshalb, so der BGH, sind die ausgestalteten Nutzungsbedingungen geeignet, den Wettbewerb zu behindern.

Ausblick

Durch diese Entscheidung wird Facebook die strengen Anforderungen an die Erhebung und Auswertung von Nutzerdaten, die sich aus der Verfügung des BKartA ergeben, sofort umsetzen müssen – zumindest bis eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache ergeht. Diese hat weiterhin das OLG Düsseldorf zu fällen. Allerdings wird die bisher vom Gericht aus Düsseldorf vertretene Auffassung schwer aufrecht zu erhalten sein. Der BGH hat die Argumentationslinie des BKartA im Wesentlichen bestätigt und sieht weder ernsthafte Zweifel an der marktbeherrschenden Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke noch daran, dass Facebook diese marktbeherrschende Stellung mit den vom BKartA untersagten Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt.

Im Hinblick auf den Markt für Online-Werbung wird das OLG Düsseldorf prüfen müssen, ob es auf diesem Markt, unabhängig von der Frage, ob Facebook auf diesem Markt marktbeherrschend ist, zu negativen Auswirkungen kommt. Denn insoweit hat der BGH lediglich festgestellt, dass sich eine Beeinträchtigung nicht ausschließen lässt. Angesichts der hohen Marktanteile anderer Markteilnehmer im Bereich Online Werbung ist dies zwar nicht sicher, in Anbetracht des aber wohl ebenfalls hohen Marktanteils von Facebook jedoch wahrscheinlich.

Sowohl für private Nutzer als auch für Firmen und Unternehmen, die die Plattform nutzen, dürften sich laut eigener Aussage von Facebook zunächst keine Änderungen ergeben.

Beobachter des Verfahrens sind sich in jedem Fall einig, dass die (vorläufige) Entscheidung des BGH ein spektakulärer Erfolg für das BKartA ist. Das Verfahren gegen Facebook gilt weltweit als Pionierfall.