EU will grenzüberschreitenden Warenhandel und Verkauf digitaler Inhalte erleichtern

Von Julia Kitzmüller, LL.M. und Fabian Hafenbrädl

Dem digitalen Binnenmarkt einen Schritt näher

Der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament haben sich Ende Januar auf neue Regeln im Bereich des Warenhandels sowie der Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienstleistungen geeinigt. Ziel dieser Einigung ist, einen EU-weit einheitlichen und klaren Rechtsrahmen für Käufer und Verkäufer zu schaffen sowie die Wettbewerbsfähigkeit von Klein- und Mittelunternehmen zu fördern. Kodifiziert wird das neue Vertragsrecht in zwei Richtlinien, die gemeinsame Regelungen für künftige Anforderungen an Verbraucherkaufverträge festlegen und die Rechtssicherheit stärken sollen.

In beiden Richtlinien ist eine Vollharmonisierung vorgesehen, den EU-Mitgliedstaaten wird jedoch ein gewisser Regelungsspielraum zur Aufrechterhaltung ihres bisherigen Verbraucherschutzniveaus gewährt.

The Council of the European Union and the European Parliament agreed upon new rules for contracts for the sales of goods and digital content and services to increase consumer protection, facilitate EU-wide sales of goods and digital content and guarantee greater competitiveness for small and medium-sized enterprises. This will be codified in two directives, namely the digital content directive (DCD) and the sale of goods directive (SGD) which will lay down common rules for future requirements for consumer sales contracts. Adjustments and amendments were made with the essential aim of creating a uniform and clear legal framework for buyers and sellers. Both directives provide for maximum harmonisation, however, some room is foreseen for EU countries to go beyond. The most relevant elements of the compromise in the DCD concern compensations granted to consumers when digital content such as music or software is defective and a “second chance” for suppliers in case of lack of supply before the contract can be terminated. Main elements in the SGD concern the fact that products with a digital element such as smart fridges fall only within the scope of the SGD and an obligation for the seller to update digital content embedded in goods during a period of time. This provisional agreement now needs to be formally confirmed by the two institutions and is just one more step towards a Digital Single Market.

Die wichtigsten Punkte der Einigung im Überblick

Die Richtlinie über den Verkauf von Waren sieht einheitliche Regelungen sowohl für den Online- als auch Offline-Warenhandel und für andere Formen des Fernabsatzes vor.

Kernpunkt der Einigung ist, dass Produkte mit digitalen Elementen wie Smart Fridges, Smartphones oder Connected Watches künftig allein in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen und somit nicht von der Richtlinie über digitale Inhalte erfasst werden sollen. Der Verkäufer ist verpflichtet, an Produkten mit integriertem digitalen Inhalt während eines angemessenen Zeitraums (den der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann) Updates durchzuführen. In einigen Fällen kann dieser Zeitraum spezifiziert werden.

Des Weiteren können die Mitgliedstaaten für Verbraucher eine zweimonatige Frist zur Anzeige eines Mangels festlegen. Ist ein Produkt fehlerhaft, soll der Verbraucher zwischen kostenlosem Umtausch oder kostenloser Reparatur wählen können. Unter bestimmten Umständen (so bei schwerwiegenden Mängeln oder mangelhafter Nacherfüllung) steht dem Verbraucher ein Anspruch auf sofortige Preisminderung oder Vertragsbeendigung und Rückzahlung des Kaufpreises zu. Der bereits erwähnte Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten kommt überdies bei der Gewährleistungsfrist und bei der Beweislast bezüglich eines Mangels zu tragen. Erstere darf im nationalen Recht zwei Jahre über-, jedoch nicht unterschreiten. Die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers kann auf zwei Jahre erweitert werden. (vgl. im deutschen Recht § 477 BGB zum Verbrauchsgüterkauf, der, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt, die Vermutung normiert, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war)

Die Richtlinie über digitale Inhalte umfasst digital her- und bereitgestellte Inhalte oder Dienstleistungen wie beispielsweise Musik, Apps, Online-Videos oder Spiele; Speicherdienste wie Cloud- oder Webhosting als auch soziale Netzwerke wie Facebook oder YouTube, die einen Datenaustausch ermöglichen. “Over-the-top” (OTT) Services und die Verarbeitung personenbezogener Daten fallen ebenso in ihren Anwendungsbereich. Die Regelungen gelten gleichermaßen für Verbraucher, die ihre Daten für die Nutzung der Dienste bereitstellen, als auch für zahlende Kunden.

Diese EU-weiten Regeln für “digitale Verträge” sollen künftig einen besseren Schutz vor beispielsweise fehlerhaften Musiktiteln oder fehlerhafter Software bieten. Kann der Verkäufer den Fehler nicht beheben, so hat der Verbraucher innerhalb von 14 Tagen Anspruch auf Preisminderung oder vollständige Rückzahlung des Kaufpreises. Bei unzureichender Bereitstellung von Inhalten oder Services soll dem Verkäufer jedoch eine zweite Chance eingeräumt werden, bevor eine Vertragsbeendigung möglich ist. Bezüglich der Gewährleistungsfrist kann auf obige Ausführung verwiesen werden. Der Zeitraum für die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers wird auf ein Jahr festgelegt. Nicht durchgesetzt hat sich indes ein ursprünglich vorgesehenes besonderes Recht auf Beendigung (Kündigung) langfristiger Verträge.

Next steps

Der vollständige Kompromisstext wird derzeit sprachlich geprüft und soll bereits in wenigen Wochen abrufbar sein. Die formale Annahme durch den Rat und das Parlament der EU vorausgesetzt, treten die Richtlinien 20 Tage nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft (voraussichtlich noch vor Ende der Legislaturperiode im Mai 2019). Danach sind die Richtlinien binnen einer Frist von zwei Jahren ins nationale Recht umzusetzen.

Hintergrund

Nach dem Scheitern der Initiativen zu einem gemeinsamen Europäischen Kaufrecht (GEKR), veröffentlichte die Europäische Kommission im Dezember 2015 eine Strategie zur Erreichung des digitalen Binnenmarktes und verabschiedete zwei Richtlinienvorschläge zu beiden oben genannten Regelungsbereichen. 2017 wurde der Geltungsbereich der Richtlinie über den Online-Warenhandel und anderer Formen des Fernabsatzes auch auf den Offline-Handel erweitert. Ziel des digitalen Binnenmarktes ist es, Europa als führenden Anbieter in der digitalen Wirtschaft zu positionieren und jegliche Barrieren auszuräumen, die insbesondere freiem Handel und Innovation im Wege stehen.

Mit der erzielten Einigung und der damit verbundenen Vereinheitlichung des grenzüberschreitenden (elektronischen) Handels ist man diesem Ziel insbesondere nach Einführung europaweit einheitlicher Datenschutzregeln und der Abschaffung der Roaming-Gebühren erneut näher gerückt. Die EU-Kommission hofft nun auf ähnliche Erfolge in Bezug auf ihren unterbreiteten Vorschlag zur Modernisierung des europäischen Urheberrechts sowie zur Verordnung über Privatsphäre und elektronische Kommunikation (ePrivacy).