Metall auf Metall X: Die Sampling-Odyssee geht weiter

Die legendäre deutsche Band Kraftwerk streitet immer noch mit einem Musikproduzenten um ein zwei Sekunden langes Sample ihres Liedes “Metall auf Metall” aus dem Jahr 1977. Auch ein zehntes Urteil konnte den seit über 23 Jahren andauernden Streit nicht endgültig beenden. Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG Hamburg, Urt. v. 28. April 2022, 5 U 48/05) hatte auf Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 30. April 2020, I ZR 115/16 – Metall auf Metall IV) erneut zu entscheiden und wendete die kürzlich in das Urheberrechtsgesetz (UrhG) eingeführte Pastiche-Regelung an.

The legendary German band Kraftwerk is still in dispute with a music producer over a two-second sample of their 1977 song “Metall auf Metall”. Even a tenth judgment could not conclusively end the conflict which has been going on for over 23 years now. The Higher Regional Court of Hamburg (OLG Hamburg, judgement of 28. April 2022, 5 U 48/05) was called to rule again upon the German Federal Court of Justice’s (BGH, judgement of 30 April 2020, I ZR 115/16 – Metall auf Metall IV) referral, and applied the Pastiche regulation, which was recently introduced in the German Copyright Act (UrhG).

Hintergrund

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein zwei Sekunden langes Rhythmusfragment aus dem Stück “Metall auf Metall” der Band Kraftwerk. Kraftwerk, die weithin als Pioniere der elektronischen Musik gelten, veröffentlichten das Stück 1977 auf ihrem Album “Trans Europa Express”. 20 Jahre später beschloss der Hip-Hop-Produzent Moses Pelham, den besagten Zwei-Sekunden-Teil in seiner Produktion “Nur mir” (mit Sabrina Setlur) zu “samplen”. “Sampling” ist eine Technik, bei der ein Nutzer – in der Regel mit Hilfe elektronischer Geräte – einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks verwendet (EuGH, Entscheidung vom 29. Juli 2019, C-476/17 – Pelham GmbH ua/ Ralf Hütter ua, Rn. 35). In den Anfang des Liedes “Nur mir” wurde der Ausschnitt aus “Metall auf Metall” als Dauerschleife eingebaut, verlangsamt und mit einer anderen Melodie unterlegt. Nach dem Hinzutreten weiterer Klang- und Rhythmuslinien geht das Stück allmählich in einen Hip-Hop-Song über.

Pelham hatte Kraftwerk jedoch nie um eine Lizenz für die Nutzung des (kurzen) Ausschnitts ihres Werks gebeten, und so begann der Rechtsstreit 1999 vor den Hamburger Gerichten und nahm seinen Weg durch die verschiedenen Instanzen. Im Laufe der Jahre wurde der Fall viermal vor dem BGH verhandelt und machte weitere Zwischenstopps beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Dieser entschied 2019, dass die deutsche Urheberrechtsschranke der “freien Benutzung” (§ 24 UrhG a.F.), auf die sich Pelham berufen hatte, nicht mit EU-Recht vereinbar ist (C-476/17, ebd.). Infolgedessen wurde § 24 UrhG im Sommer 2021 durch die offene Pastiche-Regelung (neuer § 51a UrhG) ersetzt.

Das Urteil des OLG Hamburg hat den Prozessmarathon jedoch nicht beendet. Vielmehr wurde die Revision zum BGH in einem Punkt (erneut) zugelassen (Urt. v. 28. April 2022, 5 U 48/05), nämlich zur Auslegung des neuen Pastiche-Paragrafen, der auf Art. 5 Abs.. 3 lit. k) der EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie 2001/29), aber auch auf die DSM-Richtlinie (Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, RL 2019/790) zurückgeht.

Aktuelle Entscheidung des OLG Hamburg

Die Länge des Prozesses und zwischenzeitliche Gesetzesänderungen führten dazu, dass das Gericht zwischen verschiedenen Zeiträumen differenzieren musste. In Anlehnung an die Vorgaben des BGH stellte das OLG Hamburg auf drei Zeiträume ab, die für die Rechtmäßigkeit der fraglichen Sequenz von Bedeutung sind.

(1) 1999 – vor dem 22. Dezember 2002

Bis zur Einführung der EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie 2001/29), also vor dem 22. Dezember 2002, ist (nur) nationales Recht auf den Fall anwendbar. Unter Berücksichtigung der Auffassung des BVerfG (Beschluss vom 9. Januar 2016, I BvR 1585/13) stellt die Verwendung des zwei-Sekunden-Ausschnitts eine rechtsverletzende Vervielfältigung des Kraftwerk Stücks dar, welche jedoch angesichts der Kunstfreiheit der Beklagten durch das Recht der freien Benutzung (analog zu § 24 UrhG a.F.) erlaubt ist.

(2) 22. Dezember 2002 – 7. Juni 2021

Nach ihrem Inkrafttreten ist § 24 UrhG (alte Fassung) im Lichte der InfoSoc Richtlinie auszulegen. Entsprechend des Vorgaben des EuGH und des BGH stellt die Verwendung von nur zwei Takten einer Rhythmusfolge eine Verletzung der Vervielfältigungsrechte von Kraftwerk dar, da der durchschnittliche Musikhörer die verwendete Tonfolge aus der Originalaufnahme zu erkennen vermag.

Da jedoch die Einrede der freien Benutzung nach § 24 UrhG nicht zur Verfügung steht (oder eine andere Ausnahmeregelung anwendbar ist), ist diese Vervielfältigung nicht mehr gerechtfertigt, sondern ist eine Urheberrechtsverletzung, die zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zugunsten von Kraftwerk führt.

(3) Nach dem 7. Juni 2021

Die dritte zu beurteilende Periode ist die Vervielfältigung der Sequenz aus “Metall auf Metall” und ihre Überführung in ein selbstständiges neues Werk im Wege des Samplings ab dem 7. Juni 2021.

Dies ist der Zeitpunkt der Einführung der neuen Pastiche-Regelung (§ 51a UrhG), die die Vervielfältigung von Werken “zum Zwecke des Pastiches” erlaubt. Sie wurde in Umsetzung der InfoSoc- und DSM-Richtlinie in das deutsche Urheberrecht eingeführt. Nach der Gesetzesbegründung ist ein „Pastiche“ die Übernahme oder Nachahmung eines fremden Werkes oder eines Teils eines Werkes, in dessen Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit dem vorbestehendem Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand erkennbar ist und die einen Ausdruck der Wertschätzung oder Ehrerbietung für das Original darstellt, etwa als Hommage (BT-Drs. 19/27426 S. 91).

Nach Ansicht des OLG Hamburg ist das von Pelham vorgenommene Sampling als ein solches „Pastiche“ zu werten und stellt damit eine zulässige Art der Vervielfältigung dar. Es sei aber noch nicht abschließend geklärt, was genau unter einem „Pastiche“ zu verstehen ist. Dies sei wiederum eine Frage der Auslegung des EU-Rechts. Daher ließ das Gericht die Revision zum BGH für diesen Zeitraum zu.

BGH muss erneut entscheiden

Die Einordnung des Sampling als „Pastiche“ im Sinne des § 51a UrhG n.F. ist nicht abschließend. Da es sich bei der Vorschrift um eine Umsetzung von EU-Recht handelt, hat das OLG Hamburg die Revision zur Auslegung und Reichweite des Begriffs „Pastiche“ nach den entsprechenden EU-Richtlinien zugelassen. Die klagenden Kraftwerk-Mitglieder haben erwartungsgemäß Revision eigenlegt, so dass der Rechtsstreit ein fünftes Mal vom BGH entschieden werden muss. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass das Verfahren im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung und Reichweite des Pastiche-Begriffs nach der InfoSoc- und der DSM-Richtlinie eine zweite Zwischenstation beim EuGH einlegen wird.

Klare Vorgaben werden insbesondere zu dem Erfordernis benötigt, dass die Nachahmung eine Auseinandersetzung mit dem Originalwerk erkennen lassen muss, die auch in einem Ausdruck der Wertschätzung oder Ehrerbietung für das Original bestehen kann. Entgegen der Auffassung des OLG Hamburg kann man durchaus an der erforderlichen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem verwendeten Werk von Kraftwerk zweifeln.