Am 23. April 2022 wurde ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des ehrgeizigen Ziels der EU, Europa “fit für das digitale Zeitalter” zu machen, unternommen. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten erzielten eine Einigung über den Digital Services Act (DSA) (COM/2020/825 final), der in Form einer Verordnung am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll. Während der kürzlich verabschiedete Digital Markets Act (DMA) (COM/2020/842 final) darauf abzielt, die Macht der Tech-Giganten einzuschränken, zielt der DSA darauf ab, einen sichereren digitalen Raum für alle Nutzer von Online-Diensten zu schaffen, insbesondere durch die Verpflichtung der Plattformen, illegale Inhalte schnell zu entfernen.
Inhalte werden als illegal eingestuft, soweit sie nicht mit dem EU-Recht oder dem Recht eines Mitgliedstaats übereinstimmen. Sie können daher ein breites Spektrum umfassen, das von Hassreden über die Aufstachelung zum Terrorismus bis hin zu Urheberrechtsverletzungen reicht.
Zielgruppe des Gesetzes sind Anbieter von Vermittlungsdiensten, die sich an EU-Verbraucher wenden. Die nach dem DSA auferlegten Verpflichtungen sind abhängig von der Art des jeweils angebotenen Vermittlungsdienstes und variieren je nach Größe, Rolle und Auswirkung dieser Dienste auf das Online-Ökosystem. Dies führt zu immer strengeren Verpflichtungen für Anbieter von Vermittlungsdiensten, die lediglich Netzinfrastruktur (z.B. Internetzugangsanbieter), Hosting-Dienste (z.B. Cloud- und Webhosting-Dienste), Online-Plattformen (z. B. Online-Marktplätze, App-Stores und Social-Media-Unternehmen) und sehr große Online-Plattformen anbieten.
Die Nichteinhaltung der neuen Verpflichtungen des DSA kann zu Geldbußen in Höhe von bis zu 6% des weltweiten Jahresumsatzes der zuwiderhandelnden Unternehmen führen und übersteigt damit sogar den in der DS-GVO festgelegten Höchstbetrag.
Das Haftungsregime der E-Commerce-Richtlinie
Überraschenderweise sieht der DSA keine aktualisierten Haftungsregelungen für Dienste der Informationsgesellschaft vor, sondern übernimmt die Regelungen der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 2000/31/EG) weitgehend unverändert. Diese sehen vor, dass Dienste der Internetgesellschaft nur dann für Inhalte Dritter haften, wenn sie diese nicht umgehend entfernen, nachdem sie von deren Rechtswidrigkeit Kenntnis erlangt haben. Der DSA spiegelt die Haftungsbestimmungen der E-Commerce-Richtlinie fast wortwörtlich wider und nutzt sie als Ausgangspunkt für die Festlegung von Verfahren zur Meldung und unverzüglichen Entfernung illegaler Inhalte. Eine Unterscheidung soll zusätzlich vorgenommen werden zwischen illegalen Inhalten und solchen, die zwar schädlich sind, aber unter die Meinungsfreiheit fallen.
Außerdem wird klargestellt, dass die in dieser Regelung vorgesehenen Haftungsausschlüsse nicht allein deshalb ausgeschlossen sind, weil ein Anbieter von Vermittlungsdiensten freiwillig Maßnahmen zur Entfernung oder Identifizierung illegaler Inhalte ergriffen hat.
Mit der Beibehaltung dieser Haftungsregelungen legt der DSA den Anbietern von Vermittlungsdiensten weit weniger strenge Haftungsrisiken auf als die Europäische Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte.
“Notice- und Actions”-Verfahren
Das Gesetz verpflichtet darüber hinaus alle Anbieter von Hosting-Diensten zur Einrichtung von Notice-and-Action-Verfahren (oder Notice-and-Takedown-Verfahren). Diese müssen leicht zugänglich und benutzerfreundlich sein und es den Nutzern ermöglichen, potenziell illegale Inhalte zu erkennen. Der Erhalt einer Nutzermeldung kann die positive Kenntnis eines Anbieters von rechtswidrigen Inhalten auslösen und somit zu einer Haftung führen, wenn der Inhalt nicht rechtzeitig entfernt wird. Die Bestimmungen des Gesetzes legen fest, welche Angaben in einer solchen Mitteilung enthalten sein müssen, um tatsächlich eine positive Kenntnis zu bewirken.
Werden Nutzerinhalte in der Folge gesperrt oder entfernt, muss der rechtsverletzende Nutzer eine ausreichende Begründung für diese Entscheidung erhalten. Außerdem muss der Hosting-Diensteanbieter sowohl den Anzeigenden als auch den mutmaßlichen Rechtsverletzer über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die Entscheidung informieren. Handelt es sich bei dem Anbieter von Hosting-Diensten um eine Online-Plattform, so müssen die Anbieter ein Beschwerdesystems einrichten, welches den Nutzern ermöglicht, gegen Entscheidungen der Plattform zur Sperrung mutmaßlich rechtswidriger Inhalte Einspruch zu erheben.
Weitere Verpflichtungen für alle Online-Plattformen
Neben der Pflicht, ein internes Beschwerdesystem einzurichten, werden Online-Plattformen – abgesehen von Kleinst- und Kleinunternehmen – zusätzliche Verpflichtungen auferlegt.
Im Rahmen des Notice-und-Actions-Verfahrens müssen Mechanismen zur Zusammenarbeit mit so genannten “Trusted Flaggers” geschaffen werden, die regelmäßig und zuverlässig illegale Inhalte melden. Hinweise, die von solchen Personen eingereicht werden, müssen bevorzugt behandelt und schneller bearbeitet werden als andere.
Andererseits sollen Nutzer, die wiederholt rechtswidrige Inhalte verbreitet haben, für einen angemessenen Zeitraum gesperrt werden. Wenn Inhalte den Verdacht begründen, dass eine schwere Straftat gegen das Leben oder die Sicherheit einer Person begangen wurde, sind Online-Plattformen verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen.
Der DSA reglementiert zudem Art und Umfang bestimmter Werbemaßnahmen und fordert ein höheres Maß an Transparenz. Dazu zählt insbesondere das Verbot gezielter Werbung an Kinder und oder die nur eingeschränkte Verwendbarkeit von besonderen Kategorien personenbezogener Daten wie ethnische Zugehörigkeit, politische Ansichten oder sexuelle Orientierung. Online-Plattformen müssen auch spezifische Informationen über ihre Algorithmen offenlegen, die bestimmen, wie Inhalte den Nutzern empfohlen werden (z. B. Ranking-Mechanismen).
Zusätzliche Verpflichtungen für “sehr große Online-Plattformen”
Aufgrund ihrer unglaublichen Reichweite und ihres Einflusses werden “sehr großen Online-Plattformen” zusätzliche Verpflichtungen auferlegt, um die besonderen Risiken, die sie in Bezug auf die Verbreitung illegaler Inhalte im Internet darstellen, zu mindern. Als “sehr groß“ gelten Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzern monatlich, die daher berechtigterweise mehr Verantwortung bei der Eindämmung illegaler Online-Inhalte tragen.
Nach dem DSA unterliegen solche Unternehmen strengen Sorgfaltspflichten, einschließlich obligatorischer Risikobewertungen und entsprechender Maßnahmen zur Risikominderung sowie regelmäßiger Audits der zur Durchführung solcher Bewertungen eingerichteten Systeme. Darüber hinaus ist die Ernennung eines Compliance-Beauftragten vorgeschrieben sowie die Einrichtung eines Archivs mit detaillierten Informationen über die im letzten Jahr in ihrem Dienst geschalteten Anzeigen.
Schließlich werden diese Plattformen unter die Aufsicht der Europäischen Kommission und der so genannten “Koordinatoren für digitale Dienste” gestellt, die von den Mitgliedstaaten ernannt werden sollen.
Ausblick
Dieser Rechtsakt muss von den EU-Institutionen noch formell angenommen werden. Als Verordnung wird der DSA nach seiner Verabschiedung unmittelbare Wirkung in den EU-Mitgliedstaaten haben und soll bereits ab dem 1. Januar 2024 anwendbar sein. Eine Ausnahme ist für sehr große Online-Plattformen vorgesehen, für die der DSA bereits vier Monate nach ihrer entsprechenden Einstufung als sehr große Online-Plattform gilt.