EuGH: Eigene ästhetische Wirkung keine Voraussetzung für urheberrechtlichen Schutz von Bekleidungsmodellen

von Gabriele Engels, LL.M.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass es für die Entstehung des Urheberrechts nicht auf die ästhetische Wirkung einer Gestaltung ankommt (C-683/17, Urteil vom 12. September 2019, Cofemel). Vielmehr ist zur Klassifizierung als Werk im Sinne des Art. 2 lit. a der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG die Originalität und die objektive Identifizierbarkeit entscheidend. Damit folgt der EuGH im Ergebnis dem vom Bundesgerichtshof eingeschlagenen Kurs (Urteil vom 13. November 2013, Az.: I ZR 143/12Geburtstagszug).

English Summary

The European Court of Justice (CJEU) clarified that the creation of copyright does not depend on the aesthetic effect of a (fashion) design (C-683/17, judgment of 12 September 2019, Cofemel). Rather, originality and objective identifiability are decisive for its classification as a work within the meaning of Art. 2 lit. a of Copyright Directive 2001/29/EC. The CJEU is thus in terms of following the course taken by the Federal Supreme Court (BGH, judgment of 13 November 2013, I ZR 143/12 – Geburtstagszug).

Hintergrund

Dem Verfahren liegt eine Streitigkeit zweier Kleidungshersteller zugrunde. Mangels (eingetragener) Geschmacksmusterrechte, die grundsätzlich kumulativ neben einem urheberrechtlichen Schutz bestehen können, berief sich G-Star auf Urheberrechtsverletzungen seiner eigens entworfenen Jeans und T-Shirts. Diese stellten nach Ansicht von G-Star originäre geistige Schöpfungen im Sinne des Urheberechts dar. Ein besonderer Grad an eigener ästhetische Wirkung bzw. künstlerischem Wert über den Gebrauchszweck des Kleidungsstücks hinaus sei hingegen für den Werkcharakter einer solchen Gestaltung nicht erforderlich, so weiterhin die Argumentation von G-Star.

In letzter Instanz legte der Oberste Portugiesische Gerichtshof dem EuGH sodann die Frage vor, ob Art. 2 lit. a der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG einer nationalen Regelung insoweit entgegensteht, dass nach dieser der urheberrechtliche Schutz von eigenen, ästhetischen Effekten abhängt.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH nahm die Vorlagefrage zum Anlass, um genauer auf die Voraussetzungen des urheberrechtlichen Schutzes von Werken einzugehen und deren Anforderungen zu konkretisieren.

Zunächst muss es sich um ein Original handeln. Zur Feststellung der Originalität einer Gestaltung muss die Persönlichkeit des Urhebers durch eine freie kreative Entscheidung widergespiegelt werden. Das Fehlen eines künstlerischen Gestaltungsspielraums oder rein technische Erwägungen, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, reichten hierfür nicht aus. Entscheidend sei aber die hinreichend genaue und objektive Identifizierbarkeit der Gestaltung. Damit ist gemeint, dass die Gestaltung klar erkennbar sein muss und jegliche subjektiven, der Rechtssicherheit schädlichen Elemente bei der Identifizierung ausgeschlossen sind. Folglich sei das subjektive Empfinden von Ästhetik gerade für die Werkeigenschaft und damit für den urheberrechtlichen Schutz nicht erforderlich. Zwar diene sie häufig als Inspiration schöpferischer Tätigkeit, sei jedoch selbst keine Voraussetzung dafür, dass eine Gestaltung eine geistige Schöpfung darstellt.

In diesem Kontext ging der EuGH weiterhin auf das Verhältnis zwischen Urheber- und Geschmacksmusterrecht ein. Die kumulative Anwendung der beiden Schutzarten komme nur in bestimmen Fällen in Betracht und dürfe nicht dazu führen, dass als Muster bzw. Modell (Geschmacksmusterrecht) einerseits und als Werk (Urheberrecht) andererseits geschützte Gestaltungen gleichgesetzt werden. Die unterschiedlichen Schutzzwecke und Ziele seien zu beachten. Der Schutz von Mustern und Modellen umfasse grundsätzlich neue (Gebrauchs-)Gegenstände, die typischerweise für die Massenproduktion gefertigt werden. Die Schutzdauer ist deutlich kürzer (25 Jahre), damit der Wettbewerb nicht unverhältnismäßig beschränkt wird. Der urheberrechtliche Schutz dauert im Gegensatz dazu deutlich länger (70 Jahre nach dem Tod das Autors) und ist Gegenständen vorbehalten, die als Werke eingestuft werden können.

Aus diesen Gründen darf die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes für eine als Muster bzw. Modell geschützte Gestaltung nicht dazu führen, dass die Zielsetzung und die Wirksamkeit dieser beiden Schutzarten beeinträchtigt werden. Der Umstand, dass ein Bekleidungsmodell eine eigene ästhetische Wirkung hat, ermöglicht nicht die Feststellung, dass es sich bei diesem Modell um eine geistige Schöpfung handelt.

Fazit und Praxishinweis

Der EuGH schafft Klarheit, dass die ästhetische Wirkung keine Voraussetzung für den urheberrechtlichen Schutz von Bekleidungsmodellen darstellt. Es bleibt jedoch eine Einzelfallentscheidung, in welchen Ausnahmefällen eine derartige Gestaltung zusätzlich urheberrechtlichen Schutz genießen kann.

Mit seinem Urteil liegt der EuGH grundsätzlich auf einer Linie mit dem BGH. Dieser hatte sich bereits 2013 in seiner Geburtstagszug-Entscheidung (Urteil vom 13. November 2013, Az.: I ZR 143/12) gegen höhere Anforderungen bei Werken der angewandten Kunst in Abgrenzung zum Geschmacksmuster- bzw. Designschutz ausgesprochen und damit seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Dabei argumentierte der BGH jedoch alleine damit, dass angesichts des Geschmacksmusterreformgesetzes (2004) keine höhere Anforderungen mehr notwendig seien. Zudem legte er fest, dass bei einer geringen Gestaltungshöhe der Schutzbereich des Werkes eingeengt ist. In Bezug auf die europarechtlichen Vorgaben, insbesondere die Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG, sah der BGH jedoch keinen Grund zur Abweichung von seiner alten Rechtsprechung.

Dieser Sichtweise hat der EuGH mit seinem Urteil eindeutig widersprochen. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH zukünftig seine Argumentation anpasst und die Einschränkung des Schutzbereiches aufgibt. Die ästhetische Wirkung von gewerblichen Mustern und Modellen bleibt im Rahmen der Prüfung der Urheberrechtsfähigkeit jedenfalls unberücksichtigt. Für die Werkqualität ist eine künstlerische Leistung erforderlich. Soweit möglich und erforderlich, sollten Bekleidungshersteller weiterhin zweigleisig fahren und ihre Gestaltungen als Geschmackmuster bzw. Design anmelden.