Heute, am 7. November 2020 ist der Medienstaatsvertrag (MStV) in Kraft getreten. Dieser schafft neue regulatorische Spielregeln für die Medienbrache – nicht nur für das Fernsehen und Radio, sondern auch für neue digitale Player bzw. Medienformen. Einen Tag zuvor war die letzte Ratifizierungsurkunde aller 16 Bundesländer hinterlegt worden, mit der gesetzlichen Folge, dass der Medienstaatsvertrag am Folgetag in Kraft getreten ist.
The new State Media Treaty (Medienstaatsvertrag) has come into force today. It replaces the State Treaty on Broadcasting. Compared to the previous regulations, the State Treaty has an extended scope of application. Going forward, it covers not only television, radio and certain telemedia, but also applies to new gatekeepers – such as search engines, smart TVs, language assistants, app stores, social media and video sharing platforms. The regulations can also apply to media intermediaries, media platforms and user interfaces based abroad.
Ablösung des Rundfunkstaatsvertrags
Der neue MStV löst den seit 1991 geltenden Rundfunkstaatsvertrag (RStV) ab. Damit will der Gesetzgeber auf grundlegende Veränderungen der Medienlandschaft bzw. der fortschreitenden Medienkonvergenz reagieren und die bisher v.a. für den Rundfunk und Telemedien geltenden Regeln an das digitale Zeitalter anpassen. In diesem Zusammenhang wird zugleich auch die europäische Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste umgesetzt (soweit dies nicht durch Anpassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) erfolgt), wenn auch mit ein wenig Verspätung, da diese für die Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 19. September 2020 vorsah.
Ausweitung des Anwendungsbereichs
Mit der Überführung des Rundfunkstaatsvertrages in einen Medienstaatsvertrag haben die Länder – worauf schon der weitgefasste neue Staatsvertragstitel hinweisen soll – eine deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs vorgenommen und ganz konkret medienspezifische Regulierungen auch für solche Anbieter eingeführt, die Medieninhalte vermitteln bzw. deren Verbreitung dienen – sog. Gatekeeper (wie z.B. Suchmaschinen, Smart-TVs, Sprachassistenten, App-Stores, soziale Medien und Distributions- und Video-Sharing-Plattformen). Diese Dienste werden nun als Medienplattformen, Benutzeroberflächen oder Medienintermediäre von der Regulierung (in den besonderen Vorschriften für einzelne Telemedien) erfasst. Allerdings: Der sektorspezifische Regulierungsansatz wird nicht angetastet – der Rundfunk nimmt immer noch eine regulative Sonderstellung ein.
Medienplattform
Als Medienplattform neu definiert wird, „jedes Telemedium, soweit es Rundfunk, rundfunkähnliche Telemedien oder Telemedien nach § 19 Abs. 1 [gemeint „Online-Presse“] zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst“. Mit dem Merkmal des „vom Anbieter bestimmten Gesamtangebots“ soll klargestellt werden, dass nur solche Angebote erfasst sind, bei denen der Anbieter selbst und abschließend über die angebotene Auswahl entscheidet. Dieses Merkmal soll entscheidendes Abgrenzungskriterium zu den ebenfalls neu definierten Medienintermediären sein, wobei die Abgrenzung anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf Gestaltung, Inhalt, Empfängerkreis und technische Struktur erfolgen soll. Unabhängig ist die Medienplattform nun von ihrem Verbreitungsweg. So werden infrastrukturgebundene Medienplattformen (z.B. Fernsehkabelnetze, IPTV) ebenso erfasst wie Medienplattformen in offenen Netzen (z.B. OTT-Dienste), wobei die Regulierungsdichte teils abgestuft und auch in Abhängigkeit von Schwellenwerten erfolgt.
Medienintermediär
Demgegenüber ist ein Medienintermediär „jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“. Erfasst werden sollen nicht alle denkbaren Intermediäre, sondern nur solche, die „auch“ journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregieren, selektieren und allgemein zugänglich präsentieren und damit zumindest potentiell Meinungsbildungsrelevanz haben. Nach der amtlichen Begründung sollen im Regelfall als Medienintermediär einzustufen sein: „Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, User Generated Content-Portale, Blogging-Portale und News Aggregatoren“. Aber auch App-Portale sollen – je nach Ausgestaltung – darunterfallen, z.B. wenn das Portal nicht als Gesamtangebot einzuordnen ist, was wiederum dann der Fall sein könnte, wenn ohne wesentliche Hindernisse jedermann Apps in das Portal einstellen kann. Von der Definition können auch Sprachassistenten mit ihren unterschiedlichen Funktionen erfasst sein.
Benutzeroberfläche
Die Benutzeroberfläche – definiert als „textlich, bildlich oder akustisch vermittelte“ Anzeige- und Steuerungsebene von oder für Medienplattformen – steht reflexartig in einem Bezug zu einer Medienplattform. Die Benutzeroberfläche kann Teil dieser Medienplattform, aber auch ein selbstständiges Telemedienangebot sein. Erfasst werden auch Oberflächen von Endgeräten (z.B. Smart-TVs), soweit sie etwa Programmübersichten oder eine Orientierung über softwarebasierte Anwendungen geben.
Regelungszweck
Mit diesen Begriffen sind nun die vielleicht größten regulatorischen Neuerungen verbunden. Neu vorgesehen für diese Dienste ist ein ausdifferenziertes Regelwerk von z.B. der Anzeigepflicht vor Inbetriebnahme bei der zuständigen Landesmedienanstalten, über Regeln zur Auffindbarkeit bis hin zu technischen und inhaltlichen Veränderungsverboten, Diskriminierungsverboten sowie bestimmten Transparenzregeln. Teils wird die Regulierung von sog. Reichweiten-/Nutzerschwellenwerten abhängig gemacht hat. Die Bestimmungen für Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre verfolgen dabei einen vielfaltsorientierten Ansatz und sollen insbesondere durch ihre Auffindbarkeitsregeln sowie Transparenzge- und Diskriminierungsverbote dem Medien- und Meinungspluralismus dienen.
Video-Sharing-Dienste
Einen anderen Regelungszweck verfolgen die neue Vorgaben für Video-Sharing-Dienste, die der MStV in Umsetzung der AVMD-Richtlinie ebenfalls nunmehr erfasst. Hierbei handelt es sich um ein Telemedium, bei dem der Hauptzweck des Dienstes – oder eines trennbaren Teils des Dienstes oder eine wesentliche Funktion des Dienstes – darin besteht, Sendungen mit bewegten Bildern oder nutzergenerierte Videos, für die der Diensteanbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, der Allgemeinheit bereitzustellen. Dabei bestimmt der Diensteanbieter die Organisation der Sendungen oder der nutzergenerierten Videos – auch mit automatischen Mitteln oder Algorithmen. Für diese Anbieter von Video-Sharing-Diensten statuiert die AVMD-Richtlinie nun v.a. bestimmte Werbevorgaben sowie Mitwirkungspflichten beim Umgang mit als schädlich bewerteten Inhalten, die teils im MStV, teils im Telemediengesetzes (TMG) und teils im JMStV geregelt sind bzw. werden. Einzelne Angebote können – wiederum je nach konkreter Ausgestaltung – aber sowohl unter den Begriff der Video-Sharing-Dienste als auch z.B. unter den des Medienintermediärs fallen; diesbezüglich stellt der MStV ausdrücklich die parallele Anwendbarkeit der Bestimmungen klar.
Marktortprinzip – Geltung auch für Unternehmen mit Sitz im Ausland
Gilt der MStV grundsätzlich für alle Anbieter von Telemedien, die nach den Vorschriften des TMG in Deutschland niedergelassen sind, wurde für die Anwendung des MStV auf Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen etwas anderes verankert: das sog. Marktortprinzip. Danach findet das deutsche Recht auf Medienintermediäre, Medienplattformen oder Benutzeroberflächen schon dann Anwendung „soweit sie zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind“, was mithin auch Unternehmen mit Sitz im Ausland treffen kann. Gegen eine Anwendung der Plattform- und Intermediärregulierung auch auf Anbieter, die in anderen EU-Mitgliedstaaten als in Deutschland niedergelassen sind, deren Dienste aber zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind, hatte wiederum die EU-Kommission im Rahmen der Notifizierung des MStV Bedenken geäußert, und zwar im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit EU-Recht, namentlich dem Herkunftslandprinzip.
Satzungsbefugnisse der Landesmedienanstalten
Durch den MStV werden auch die Aufgaben und Kontrollbefugnisse der Aufsichtsbehörden – genauer gesagt, der in Deutschland zuständigen 14 Landesmedienanstalten – erweitert. Im Gesetz finden sich nunmehr eine Vielzahl von Bestimmungen, wonach die Landesmedienanstalten Näheres zur Regulierung durch „gemeinsame Satzung und Richtlinien“ regeln dürfen. Bereits seit Anfang des Jahres 2020 sind die Landesmedienanstalten im Gange, diverse Satzungen zu entwerfen, darunter auch eine Plattform-Satzung, eine Medienintermediärs-Satzung oder eine Video-Sharing-Plattform-Satzung. Bei diesen Satzungen handelt es sich um echte Rechtsnormen mit Wirkung für und gegen jedermann. Allerdings sind diese gemeinsamen Satzungen kein „interföderativer“ Rechtsakt, vielmehr handelt sich jeweils um eine eigenständige Rechtsnorm; die „Gemeinsamkeit“ der Satzungen besteht in ihrer inhaltlichen Übereinstimmung, nach außen erlässt hingegen jede Landesmedienanstalt ihre eigene Satzung in dem dafür landesrechtlich vorgesehenen Verfahren. Diese Satzungen sind wiederum nur dann rechtmäßig, wenn sie mit der Satzungsermächtigung im Einklang stehen und mit höherrangigem Recht vereinbar sind, was wiederum von den Verwaltungsgerichten (z.B. in den meisten Ländern in einem Normkontrollverfahren vor den Oberverwaltungsgerichten) überprüft werden kann.
Fazit
Wir halten fest: Der MStV ist in Kraft, sein Anwendungsbereich deutlich erweitert. Künftig muss sich de facto jedes Medienunternehmen mit der Frage beschäftigen, ob und ggf. welcher Teil seiner Dienste von (bzw. welcher) Regulierung des MStV erfasst ist. Eine Frage, die für die Industrie nicht immer leicht bzw. auf den ersten Blick zu beantworten sein wird, zumal auch noch offen ist, wie die für die Aufsicht zuständigen Landesmedienanstalten die neuen Vorschriften konkretisieren und auslegen werden. Und dann sind – wie stets – natürlich auch die Feststellungen etwaig angerufener Verwaltungsgerichte zu beachten. Wie immer: Es bleibt spannend.