EuGH: Brompton Bicycle – Auch technische Formen können Urheberrechtsschutz genießen

Bisher war in der Rechtsprechung des EuGH unklar, ob die Erscheinungsform von Erzeugnissen im Rahmen der Richtlinie 2001/29 (“InfoSoc-RL”) urheberrechtlich auch dann schutzfähig ist, wenn diese dazu erforderlich ist, ein bestimmtes technisches Ergebnis zu erreichen. In der Vergangenheit hatte Luxemburg im Bereich der Gemeinschaftsgeschmacksmuster einen Schutz für solche Formen verneint, die allein durch die technische Funktion eines Erzeugnisses bedingt sind (Urteil vom 8. März 2018, Az. C-395/16). Virulent wird diese Frage besonders bei der trennscharfen Abgrenzung zwischen Urheberrecht und anderen Schutzrechten wie dem Patent, mit dem sich das technische Verfahren im besprochenen Streitfall unstreitig schützen ließ. In seinem Urteil vom 11. Juni 2020 (Brompton Bicycle gegen Chedech/Get2Get, Az. C-833/18) klärt der EuGH diese Frage auch im Urheberrecht und nimmt für die Schutzfähigkeit einen Gleichlauf mit der bestehenden Rechtslage bei Geschmacksmustern vor, die in bestimmten Fällen eine Überschneidung zwischen Urheberrechts- und Patentschutz ermöglicht.

English Summary

Until now, it has been unclear in the jurisprudence of the CJEU whether the appearance of products is protectable by copyright under Directive 2001/29 (“InfoSoc Directive”) even if it is necessary to achieve a certain technical result. Previously, Luxembourg had denied protection of EU designs for such shapes, which are solely dictated by the technical function of a product (judgement of 8 March 2018, Case C-395/16). This question becomes particularly important when it comes to the distinction between copyright and other protective rights such as a patent, where a technical process can be indisputably protected. In its judgement of 11 June 2020 (Brompton Bicycle v. Chedech/Get2Get, case C-833/18), the CJEU clarifies this question in copyright law and, with regard to protection, draws a parallel with the existing legal situation for designs, which in certain cases allow for an overlap between copyright and patent protection.

Sachverhalt

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand eine in Belgien eingereichte Klage wegen Urheberrechtsverletzung, die der Entwerfer eines Fahrradfaltsystems gemeinsam mit dem Hersteller gegenüber einem koreanischen Unternehmen geltend machte. Das entworfene Fahrrad der Kläger kann drei Positionen einnehmen: eine gefaltete sowie entfaltete und eine Zwischenposition, die es dem Fahrrad ermöglicht, auf dem Boden im Gleichgewicht zu bleiben. Die Beklagte stellte ein Klapprad mit ähnlicher Erscheinungsform her, um ebenso die genannten drei Positionen zu ermöglichen. Pikant dabei war, dass das Patent der Schöpfer des Rads für das Faltsystem inzwischen abgelaufen war. Während sich die Kläger vor diesem Hintergrund darauf stützen, dass die Erscheinungsform auch urheberrechtlich geschützt sei und die Beklagte daher die Herstellung der ähnlichen Räder zu unterlassen habe, argumentierte letztere, die Form sei nur patentrechtlich zu schützen, weil sie  für die drei Fahrradstellungen schlicht technisch erforderlich sei. Damit stellte sich die Frage, ob ein Rad mit einem derartigen Faltsystem ein Werk darstellen kann, das im Rahmen der Art. 2 bis 5 der InfoSoc-RL urheberrechtlich geschützt ist. Flankiert wurde dieser rechtliche Rahmen auf internationaler Ebene von dem WIPO-Urheberrechtsvertrag vom 20. Dezember 1996 und dessen Artikel 2 zur Urheberrechtsfähigkeit von Ausdrucksformen sowie von Art. 8 der Verordnung Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (“GGM-VO”), der festlegt, dass GGM nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses bestehen, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind. Das belgische Gericht setzte die Entscheidung aus und legte die entsprechenden Fragen den Richtern in Luxemburg vor.

Entscheidung des EuGH

Zu Beginn wiederholt der EuGH die Grundsätze zum Werkbegriff gemäß der InfoSoc-RL: zum einen müsse es sich um ein Original handeln, das eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers ist und zum anderen muss diese zum Ausdruck gebracht werden. So liege ein Original dann vor, wenn es die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem es dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt. Hingegen zu verneinen sei ein Original, wenn technische Erwägungen dem Urheber keinen Raum mehr für die Ausübung künstlerischer Freiheit ließen. Unterstützt werde diese Auslegung von Art. 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrages, nach dem auch solche Komponenten eines Gegenstands nicht urheberrechtlich geschützt werden könnten, die ausschließlich von ihrer technischen Funktion gekennzeichnet sind; wo also eine technische Idee und ihr Ausdruck zusammenfallen und kein kreativer Spielraum mehr zur Umsetzung der Idee besteht. Insoweit übertragen die Richter ihre Auslegung des Art. 8 der GGM-VO auch auf den Urheberrechtsschutz im Sinne der InfoSoc-RL.

Damit gab der EuGH dem vorlegenden belgischen Gericht auf zu überprüfen, ob die Erscheinungsform des Faltfahrrads im hiesigen Streitfall ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt ist oder nicht. Sollten die belgischen Richter zu dem Ergebnis kommen, dass dies nicht der Fall ist und die Form nur teilweise dazu erforderlich ist, ein bestimmtes technisches Ergebnis zu erreichen, wäre ein Urheberrechtsschutz demnach denkbar.

Praxishinweis

Diese Entscheidung stärkt die Inhaber von Schutzrechten: auch wenn der Patent- oder auch Designschutz für eine bestimmte Erscheinungsform im Rahmen eines technischen Verfahrens abgelaufen ist, kommt ein urheberrechtlicher Schutz unter gewissen Umständen dennoch als ultima ratio in Betracht. Zwar ist die gerichtliche Feststellung einer kreativen Schöpfung im Urheberrecht stets unscharf, doch schließen die Richter des EuGH einen solchen nicht per se aus. Freilich besteht eine mögliche Urheberrechtsfähigkeit aber nur dann, wenn der Entwerfer einer bestimmten Erscheinungsform nachweisen kann, dass die gewählte Form nicht allein durch technische Erwägungen oder Zwänge bedingt ist und er insoweit einen kreativen Spielraum bei der Auswahl dieser Erscheinungsform hatte. Die Gestaltung kann durchaus technisch bedingt sein, um Schutz zu genießen,  darf allerdings nicht technisch notwendig sein. Ähnliches gilt auch bei technisch bedingten Gestaltungen im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutz nach dem UWG (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2016 – I ZR 197/15).