EuGH umreißt Reichweite der Löschungspflichten von Host Providern

Der EuGH hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Reichweite der Verpflichtungen von Host Providern zur Prüfung und Löschung von rechtswidrigen Inhalten und der Auslegung des Artikel 15 Abs. 1 E-Commerce-RL (Richtlinie 2000/31/EG), der allgemeine Überwachungspflichten verbietet, zu klären. Mit seinem Urteil vom 3. Oktober 2019 (Az.: C-18/18, Glawischnig-Piesczek / Facebook Ireland Limited) ebnet er Mitgliedsstaaten den Weg, Host Providern nach Erhalt einer Unterlassungsverfügung aktive Überwachungs- und Löschungsverpflichtungen hinsichtlich verletzender Beiträge wort- oder sinngleichen Inhalts aufzuerlegen.

In a preliminary ruling regarding a defamation case, the CJEU had to clarify the scope of obligations of a host provider to remove content which it stores and the interpretation of Article 15 (1) of the E-Commerce Directive (Directive 2000/31/EC), which prohibits the general monitoring of stored content. In its decision of 3 October 2019 (Case No. C-18/18, Glawischnig-Piesczek / Facebook Ireland Limited), the CJEU paved the way for EU Member States to impose active monitoring and deletion obligations on host providers after receiving a cease and desist order with regard to infringing contributions with identical or equivalent content.

Hintergrund

Gegenstand des Rechtsstreits war ein von einem anonymen Benutzer auf der Social-Media-Plattform Facebook veröffentlichter Beitrag. Dieser enthielt ehrenbeleidigende Äußerungen über die österreichische Politikerin Frau Glawischnig-Piesczek. Frau Glawischnig-Piesczek war der Auffassung, dass Facebook nicht nur diese sowie wortgleiche Behauptungen, sondern auch derartige dem Provider nicht zur Kenntnis gelangte Beiträge wort- sowie sinngleichen Inhaltes sowie auch von anderen Nutzern zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren habe. Der österreichische OGH war der Ansicht, dass die Konstruktion einer solchen Verpflichtung von der Auslegung von Artikel 15 Abs. 1 E-Commerce-RL (entspricht § 7 Abs. 2 TMG) abhänge, und rief daher den EuGH zur Vorabentscheidung an.

Entscheidung des EuGH

Der Gerichtshof ersuchte insbesondere eine Antwort auf die Frage, ob die Auferlegung einer Pflicht für Host Provider, einen beanstandeten Beitrag, sowie wort- und sinngleiche Beiträge zu sperren oder zu löschen eine gem. Art. 15 E-Commerce-RL (entspricht § 7 Abs. 2 TMG) verbotene allgemeine, anlasslose Überwachungspflicht darstellt.

Der EuGH verneinte dies und urteilte, dass die E-Commerce-RL ein Gericht eines Mitgliedstaates nicht daran hindert, einen Host-Provider anzuweisen, nach einer erfolgten Rechtsverletzung Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren,

  • welche den wortgleichen Inhalt haben, ungeachtet dessen, ob diese vom verletzenden Nutzer stammen oder einem anderen Nutzer; und/oder
  • welche den sinngleichen Inhalt haben, sofern
    • die Überwachung auf solche Beiträge beschränkt ist, deren Aussage im Wesentlichen unverändert geblieben ist; und
    • deren Inhalt die Einzelheiten umfasst, die in der Verfügung genau bezeichnet wurden; und
    • sofern die Unterschiede in der Formulierung nicht so groß sind, dass ein Host Provider gezwungen wäre, eine autonome Beurteilung des Inhalts vorzunehmen.

Darüber hinaus bestimmt der EuGH, dass Gerichte im Rahmen des einschlägigen internationalen Rechts Host Providern diese Löschungs- oder Sperrpflicht weltweit für die von der Verfügung betroffenen Informationen auferlegen können.

Dies eröffnet Mitgliedstaaten im Rahmen von nationalen Unterlassungsverfügungen nun ausdrücklich die Möglichkeit, die Prüf- und Überwachungsverpflichtungen von Host Providern nach vorangegangenen Rechtsverletzungen dahingehend zu verschärfen, dass sie nicht nur wortgleiche Beiträge des verletzenden Nutzers – und von Dritten – überwachen und löschen, sondern alle Beiträge, die wort- und sinngleich veröffentlicht werden, monitoren und ggf. löschen müssen. Letzteres, d.h. bei sinngleichen Äußerungen, gilt allerdings grundsätzlich nur für den Nutzer, der den rechtsverletzenden Beitrag ursprünglich gepostet hatte.

Eine „autonome Beurteilung“ des Inhalts kann insoweit von den Providern aber nicht verlangt werden. Insoweit müssen die sinngleichen Informationen der Unterlassungsverfügung „spezifische Einzelheiten“ umfassen, wie v.a. den Namen der von der zuvor festgestellten Verletzung betroffenen Person, die Umstände, unter denen diese Verletzung festgestellt wurde und einen sinngleichen Inhalt.

Folgen und Praxishinweis

Das Urteil ist zu begrüßen, da es eine im Grunde vermittelnden Linie einschlägt. Im Hinblick auf die Reichweite von nationalen Unterlassungsverfügungen verlangt es im Wesentlichen, dass Social-Media-Plattformen auch nach „kerngleichen“ Äußerungen“ (sinngleiche Inhalte) des Verletzers aktiv suchen und nicht erst auf einen entsprechenden Hinweis löscht. Dies gilt erst Recht bei der konkreten Verletzungsform (wortgleiche Inhalte) – allerdings auch bei Rechtsverletzungen durch dritte Nutzer und nicht nur des ursprünglich rechtsverletzenden Nutzers selbst.

Ob das Korrektiv der nicht-autonomen Beurteilung durch den Provider allerdings als solches geeignet ist, bleibt abzuwarten; dürfte aber praktisch zur strengeren Umsetzung und Filterung durch die Provider führen, um einer Haftung zu entgehen. Dies würde freilich für den Provider eine Sinnprüfung jeder Aussage im Einzelfall erforderlich machen, die zuverlässig nur durch eine manuelle (Nach-)Überprüfung einer automatischen Filterung, und somit eine Einzelfallentscheidung, gewährleistet werden kann. Laut BGH-Rechtsprechung mag eine manuelle Nachkontrolle in manchen Konstellation geboten sein (BGH GRUR 2015, 485 – Kinderhochstühle im Internet III). Dies möchte der EuGH aber gerade verhindern, da die Auferlegung solcher manueller Überprüfungspflichten einer gem. Art. 15 E-Commerce RL verbotenen allgemeinen, anlasslosen Überwachungspflicht sehr nahe kommt. Die Grenzziehung dürfte sich in der Praxis daher als sehr schwierig erweisen. Zudem könnten nationale Gerichte geneigt sein, die aktiven Pflichten des Providers möglichst weit auszulegen.

Auch im Hinblick auf die geforderten „spezifischen Einzelheiten“ der Verfügung drängen sich zwei mögliche Ergebnisse auf: mangels Vortragens eines weitreichenden Kataloges „sinngleicher“ Inhalte durch den Rechteinhaber können nicht alle Rechtsbeeinträchtigungen vom Provider ausgefiltert und die Rechte des Betroffenen nicht hinreichend geschützt werden (sog. „Underenforcement“), oder es kommt zu einem Sperren und/oder Löschen von rechtmäßigen Inhalten durch automatisierte Prozesse (sog. „Overenforcement“ oder „Overblocking“). Jedenfalls treffen den Rechteinhaber insoweit zukünftig weitreichendere Hinweispflichten, möchte er ersteres vermeiden.

Schließlich könnten die Auswirkungen dieser Entscheidung mit Blick auf das Urheberrecht durch die bis zum 7. Juni 2021 zu erfolgende Umsetzung der Richtlinie 2019/790/EG über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (im Folgenden: DSM-RL) in nationales Recht wenig weitreichend sein. Nach Art. 17 DSM-RL sollen Plattformen für unautorisierte Nutzerinhalte bereits als Täter einer Urheberrechtsverletzung, haften, soweit sie nicht eine Erlaubnis des Rechteinhabers zur Nutzung des Contents eingeholt haben bzw. alle Anstrengungen unternommen haben, um diese Erlaubnis zu erhalten. Sie haften ferner ebenso auf notice-and-take-down sowie notice-and-stay-down (Art. 17 Abs. 4 DRM-RL). Je nachdem in welchem Umfang die Mitgliedsstaaten die damit faktisch erforderlichen sog. „Upload-Filter“ in ihre nationale Gesetzgebung aufnehmen, wird diese Entscheidung jedenfalls für das Urheberrecht auf Dauer eher von zweitrangiger Bedeutung sein.