Neues E-Commerce Gesetz in China zum 1. Januar 2019

von Gabriele Engels, LL.M. und Julia Martens

Am 1. Januar 2019 wird das lang erwartete, neue chinesische E-Commerce Gesetz in Kraft treten. Es definiert E-Commerce als Geschäftstätigkeit bei der in Informationsnetzen wie dem Internet Waren verkauft oder Dienstleistungen erbracht werden. Das Gesetz umfasst eine Vielzahl von bereits bestehenden Rechtsgrundsätzen und versucht, alle im Rahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs auftretenden Fragen wie Cybersicherheit, Privatsphäre und Datenschutz, Verbraucherschutz, Online-Werbung, Geschäftslizenzen und Steuern, Standardvertragsform, E-Signatur etc. zu behandeln.

Mehrere Kapitel des neuen Gesetzes sind daher einer differenzierten Betrachtung wert; aus IP-rechtlicher Sicht sind jedoch vor allem die Artikel 41 bis 45 und 84 von besonderem Interesse, da sie den Schutz des geistigen Eigentums im E-Commerce kodifizieren und E-Commerce-Plattformen eine eigene Verantwortlichkeit übertragen.

English Summary

On 1 January 2019, China’s new e-Commerce law will come into force. This law addresses all e-commerce activities taking place throughout the People’s Republic of China, with e-commerce being defined as business activities that sell merchandise or provide services on information networks such as the internet. The law encompasses a broad variety of previously existing legal principles and attempts to address all issues which may arise in the course of e-commerce, such as cyber security, privacy and personal data protection, business licenses and taxation, online advertisement, consumer protection, standard form of contract, e-signature, etc.

Many of the articles merit closer inspection, however, from an IP law view Articles 41 to 45 and 84 are of particular interest as they codify the protection of intellectual property rights in e-commerce and shift certain responsibilities to e-commerce platforms.

IP-SCHUTZ

Artikel 42 verlangt, dass E-Commerce-Plattformen ein kontradiktorisches Verfahren zur Meldung und Entfernung von Rechtsverletzungen (“Notice-and-Takedown-Verfahren“) einführen. Dieses soll Inhabern von IP-Schutzrechten die Möglichkeit geben, bei dem jeweiligen Plattformbetreiber Beschwerde einzulegen, wenn sie ihre Rechten als verletzt ansehen. Einer solchen Beschwerde müssen Nachweise für eine Verletzung beigefügt sein. Das Gesetz erläutert jedoch nicht weiter, wie ein solcher Nachweis auszusehen hat. Nach Erhalt einer solchen Beschwerde muss der Plattformbetreiber “notwendige Maßnahmen” wie Löschen, Sperren, Unterbrechen von Links oder Beenden von Transaktionen und Diensten gegen den Verkäufer bzw. das Online-Geschäft ergreifen. Darüber hinaus muss die Beschwerde an den betroffenen Verkäufer weitergeleitet werden.

Der vermeintliche IP-Verletzer hat dann das Recht, dem Plattformbetreiber eine entgegenstehende Stellungnahme inklusive evtl. Nachweise vorzulegen (Artikel 43). Nach Übermittlung dieser Erklärung an den Rechteinhaber ist der Plattformbetreiber lediglich dazu verpflichtet, den Rechteinhaber darüber zu informieren, dass er nunmehr vor Gericht klagen oder eine Beschwerde bei der zuständigen Regulierungsbehörde einreichen kann. Hat der Rechteinhaber diese Maßnahmen nicht innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt der Stellungnahme des vermeintlichen Verletzers ergriffen, kann der Plattformbetreiber alle Maßnahmen, die er gegen den Verkäufer ergriffen hat, unverzüglich einstellen.

Bereits in einer früheren Phase des Gesetzgebungsverfahrens hatten Branchenverbände Bedenken geäußert, dass keine ausdrückliche Verpflichtung für Plattformbetreiber besteht, die wesentlichen Umstände eines Einzelfalles zu bewerten, bevor sie notwendige Maßnahmen ergreifen oder aussetzen. Unter Rechteinhabern wächst derweil die Angst, dass die Sorgfaltspflicht eines Betreibers nach dem vollendeten Meldeverfahren als erfüllt angesehen wird. Damit könnte ein späteres Urteil zugunsten des Rechteinhabers in Ermangelung einer Möglichkeit, Schadenersatz gegen die Plattform zu verlangen, obsolet werden. Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass Online-Plattformen es Unternehmen nach Ablauf der 15-tägigen Frist ermöglichen, weiter rechtsverletzende Produkte zu verkaufen, ohne die individuellen Umstände des Rechtsstreits ernsthaft zu prüfen.

HAFTUNG DER PLATTFORMBETREIBER

Diese Verpflichtungen werden von einer ausdrücklichen Haftung des Plattformanbieters umschlossen. Plattformen haften gesamtschuldnerisch für alle zusätzlichen Schäden, welche dem Rechteinhaber entstehen, wenn der Betreiber nach Erhalt einer Beschwerde nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der IP-Rechte ergriffen hat (Artikel 42 und 45). Darüber hinaus sind Plattformbetreiber, soweit sie trotz Kenntnis oder schuldhafter Unkenntnis einer Verletzung nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, gesamtschuldnerisch für den gesamten Schaden verantwortlich. Unter welchen Umständen ein Plattformbetreiber von einer Verletzung “hätte wissen müssen“, ist dabei noch durch Rechtsprechung zu konkretisieren. Den chinesischen Gerichten bleibt mithin die Entscheidung darüber überlassen, wie aufmerksam und ggf. proaktiv Online-Plattformen Rechtsverletzungen überwachen müssen, um einer Haftung wegen schuldhafter Unkenntnis und daraus folgendem Nicht-Ergreifen geeigneter Maßnahmen zu entgehen.

Andererseits kann ein Rechteinhaber durch eine falsche Beschuldigung für Schäden haftbar gemacht werden, welche dem betroffenen Online-Geschäft durch die “geeigneten Maßnahmen” des Plattformbetreibers entstanden sind. Böswilliges Einreichen einer Beschwerde durch den Schutzrechteinhaber führt zu einer doppelten Entschädigungspflicht.

SANKTIONEN

Sollten Plattformen nach Erhalt einer Beschwerde keine Maßnahmen ergriffen haben, so soll ihnen ein bestimmter Zeitrahmen gegeben werden, in dem sie ihren Verstoß beheben und “notwendige Maßnahmen” ergreifen können. Nach dessen Ablauf können Geldbußen zwischen 50.000 und 2.000.000 RMB (~ 7.500 bis 300.000 US$) gegen den Plattformbetreiber verhängt werden. Angesichts des Umsatzes großer E-Commerce-Plattformen kann jedoch selbst das höchste Bußgeld nur als unzureichend angesehen werden, um IP-Verletzungen im Online-Handel wirksam zu bekämpfen und abschreckend auf verstoßende Plattformen zu wirken.

FAZIT

Zu beachten ist, dass das Gesetz jedoch keinerlei Bestimmungen enthält, die eine direkte Durchsetzung gegenüber Verkäufern ermöglichen. Daher müssen sich Rechteinhaber weiterhin auf die bestehenden Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums und deren Durchsetzungsmaßnahmen stützen, um eine Entschädigung zu erhalten. Es wird auch kein Instrument geschaffen, mit dem IP-Inhaber das Recht oder die Befugnis erhalten, gegen die Plattform selbst Beschwerde einzureichen oder gegen unbefriedigende Sanktionsentscheidungen vorzugehen.

Das neue chinesische E-Commerce-Gesetz erkennt die Notwendigkeit eines verstärkten Schutzes von IP-Rechten im Zeitalter des elektronischen Geschäftsverkehrs an. Es stellt daher einen wichtigen Schritt zur Ausweitung der Schutzverpflichtung von Online-Plattformen dar. Je nachdem, wie Gerichte diese Vorschriften auslegen werden, könnten Online-Plattformen in naher Zukunft mit weitreichenden Verpflichtungen konfrontiert sein, um eine Haftung zu vermeiden. Insoweit darf man wohl vorsichtig optimistisch sein.