Europäischer Verbraucherschutz – Ein Tiger mit Zähnen

Von Prof. Dr. Stefan Engels und Amir Heydarinami

Die Europäische Kommission hat im vergangenen Monat den „New Deal for Consumer“ vorgestellt, welche im Bezug zum Verbraucherschutz u.a. Vorschläge dazu beinhaltet das Verbandsklagerecht auf europäische Ebene zu erweitern, Sanktionsvorschriften zu verschärfen und Verbrauchern individuelle Rechtsbehelfe bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen von Unternehmen zu gewährleisten. Neben der Verschärfung der Rechtsdurchsetzung schlägt die Kommission auch eine Reihe von inhaltlichen Änderungen vor, die vor allem den Pflichtenkreis von im Online und E-Commerce Bereich tätigen Unternehmen erweitern sollen.

A New Deal for Consumers is coming

In the past month the European Commission press released its new proposals to strengthen EU consumer rights and enforcement. Besides effective penalties for violations the drafts include the extension of possibilities for representative actions by qualified entities and the right of consumers to claim individual remedies when they are affected by unfair commercial practices. Furthermore the Commission wants to extend a number of changes regarding the online and e-commerce businesses.

Stolz verkündet die Europäische Kommission in ihren Mitteilungen, dass der Verbraucherschutz der Europäischen Gemeinschaft seit 1987 zu den strengsten weltweit zählt. Im Rahmen umfangreicher Evaluierungen der europäischen Regelungen, insbesondere dem „Fitness Check“ im vergangenen Jahr, hat die Kommission festgehalten, wie die Verbraucherrechte noch weiter gestärkt werden können. Die Ergebnisse haben zu nachfolgenden Vorschlägen für Gesetzesänderungen geführt, von denen wir Wichtige überblickartig darstellen wollen:

  • Kollektiver Rechtschutz

In Abgrenzung zur Sammelklage nach U.S. Vorbild schlägt die Kommission eine Erweiterung der Verbandsklage „nach europäischer Art“ vor um zukünftig Massenschadensereignisse kollektiv durchzusetzen zu können. Auf dieser Grundlage könnten bei Verstößen von Unternehmen gegen Verbraucherschutzgesetze wie z.B. in den Fällen des Dieselabgasskandals, qualifizierte Einrichtungen wie Verbraucherschutzverbände, zukünftig nicht nur eine Unterlassung, also die Einstellung des Verstoßes bewirken, sondern auch Abhilfeentscheidungen und Vergleiche zu Gunsten der Verbraucher. Auf dessen Grundlage könnten Verbraucher bspw. Entschädigungen oder Preisminderungen sogar EU-weit geltend machen, ohne dass der Verstoß für jeden Einzelfall gesondert in einem langwierigen und möglicherweise komplexen Folgeverfahren festgestellt werden muss.

  •  Abschreckendere Sanktionen bei grenzüberschreitenden Verstößen

Was die Datenschutzgrundverordnung vor macht, soll zukünftig auch im Verbraucherschutz möglich sein: Bußgeldhöhen von mindestens 4 % des netto Jahreseinkommen eines Unternehmens – allerdings nur bei weitverbreiteten Verstößen mit Unions-Dimension, wenn also mindestens zwei Dritteln der Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens zwei Drittel der Bevölkerung der Union ausmachen, betroffen sind. Grundsätzlich schlägt die Kommission wegen der bisher uneinheitlichen Sanktionsschärfen innerhalb der Mitgliedstaaten einheitliche Kriterien für die Bewertung von Verstößen und Bemessung der Bußgeldhöhen vor, welche durch zusätzliche Koordinierungsmaßnahmen EU-weit durchgesetzt werden sollen.

  • Individuelle Rechtsbehelf gegen unlautere Geschäftspraktiken

Auf lauterkeitsrechtliche Vorschriften mit Verbraucherbezug können sich derzeit nur Wettbewerber und Interessengruppen berufen. Die Kommission fordert an dieser Stelle, dass die Verbraucher in allen Mitgliedstaaten das Recht auf individuelle Rechtsbehelfe haben, wenn sie von unlauteren Geschäftspraktiken betroffen sind. Es soll mindestens ein Vertragskündigungsrecht und mindestens ein außervertragliches Schadensersatzrecht geben. Betroffene Verbraucher könnten so allein wegen einer aggressiven oder irreführenden Werbung eines Unternehmens besondere Rechte geltend machen.

  • Bekämpfung von „Produkten zweierlei Qualität“

Die Kommission sagt außerdem den Kampf gegen den Vertrieb identischer Verbraucherprodukte von unterschiedlicher Qualität an. Sie beobachtet schon länger insbesondere in der Lebensmittelindustrie, dass Ware unterschiedlicher Qualität und Güte mit derselben Verpackung unter selber Kennzeichnung innerhalb Europas verkauft wird. 

  • Mehr Transparenz für Verbraucher

Das Verbot „versteckter Werbung“ soll dahingehend präzisiert werden, dass ausdrücklich Ergebnisse von Suchmaschinen erfasst werden, bezahlte Suchergebnisse also kenntlich gemacht werden müssen. Das bleibt in Deutschland ohne Folgen, da hier das Schleichwerbungsverbot bereits für den gesamten Online-Bereich gilt. Daneben sollen Online Marktplätze die Verbraucher über die Hauptparameter des Rankings von Suchergebnissen informieren. Es sollen außerdem Informationspflichten bei Online Marktplätzen begründet werden aus denen die Verbraucher erfahren, gegen welche Person (Plattformbetreiber oder Dritter) ihnen welche Rechte zu stehen.

  • Ausweitung des Verbraucherschutzes im Bereich digitaler Dienstleistungen

Das 14-tägige Widerrufsrecht soll auf „kostenlose“ digitale Dienstleistungen (z.B. Cloud-Speicherdienste, soziale Medien oder E-Mail-Konten) erweitert werden, bei denen die Verbraucher personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen, aber kein Geld bezahlen. Denn in so einem Fall zahle der Verbraucher mit seinen Daten. Die Änderungsvorschläge zu den digitalen Dienstleistung fallen im Umfang detailreich aus. Das ist dem schon länger geplanten Parallelvorhaben, der „Richtlinie für digitale Inhalte“, geschuldet, welche vor allem die besonderen Bereitstellungspflichten und Gewährleistungsrechte zahlreicher Online Angebote regeln wird.

  • Entlastungen für Unternehmen

Das Widerrufsrecht im E-Commerce soll ausgeschlossen sein, wenn der Verbraucher die Ware nicht nur ausprobiert, sondern bereits verwendet. Der Unternehmer soll den Kaufpreis grundsätzlich, solange er die Ware nicht zurück erhalten hat, auch nicht erstatten müssen. Als eine von weiteren Vereinfachungen soll es Unternehmen außerdem möglich sein, als Kontaktmöglichkeit „sonstige Online Kommunikationsmittel“ zu verwenden. Entscheidend dabei ist nur, dass der Verbraucher die Kommunikation dauerhaft speichern kann.

Im Ergebnis wird man festhalten können, dass vor allem die Durchsetzungsvorschriften zum Verbraucherschutz eine massive Erweiterung darstellen. Mit Blick auf die Dieselaffäre reagiert aber nicht nur der europäische Gesetzgeber auf dadurch zu Tage getretene Defizite. Auch die GroKo hat mit ihrem Regierungsantritt bereits die Erweiterung der Verbandsklage, bei gleichzeitiger Absage an die Sammelklage, in Form einer sogenannten „Musterfeststellungsklage“ angekündigt. Zur Durchführung eines Verfahrens sollen lediglich 50 Anmeldungen zum Klageregister innerhalb einer Frist von zwei Monaten erforderlich sein. Ein Gesetz hierzu könnte schon im November 2018 in Kraft treten, da drohende Verjährungen in dem vom Abgasskandal betroffenen Fällen verhindert werden sollen. Vor diesem Hintergrund könnte damit zu rechnen sein, dass auch die geplanten europäischen Regelungen noch Ende dieses Jahres verabschiedet werden. Das Gesetzgebungsverfahren steht jedoch noch ganz zu Beginn. Nach Beratungen vom Europäischen Rat und Parlament sind noch Ent- und Verschärfungen der Vorschläge denkbar.

Eine Präsentation zu dem Thema finden Sie hier.