Umfang einer Unterlassungsverpflichtung – Rückruf aus den Vertriebswegen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Beschluss vom 29. September 2016 (I ZB 34/15) entschieden, dass die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung sich regelmäßig nicht darin erschöpft, eine Handlung zukünftig nicht vorzunehmen, sondern darüber hinaus die Pflicht umfasst, mögliche und zumutbare Handlungen zur Beseitigung des Störungszustandes zu ergreifen. Dies kann nach Auffassung des BGH die Verpflichtung beinhalten, auf Dritte einzuwirken, soweit die Beseitigung des Störungszustandes dies erfordert. Davon ausgehend hat der BGH festgestellt, dass ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produktes untersagt worden ist, einen Rückruf der Produkte gegenüber seinen Abnehmern vornehmen muss, damit bereits ausgelieferte Produkte nicht weiter vertrieben werden.

Scope of a cease and desist obligation – recall from distribution channels

The Federal Court of Justice (FCJ) decided in its judgement dated 29 September 2016 (ref. I ZB 34/15) that an obligation to cease and desist is not exhausted by refraining from the prohibited action in the future but also entails the obligation to undertake all possible and reasonable steps to eliminate the disorder status. According to the opinion of the FCJ this covers the obligation to actively reach out to third parties as far as this is necessary to remove the infringement. Against this background the FCJ determined that a debtor who was prohibited to distribute a product has to recall his products towards his customers to ensure that products which have already been delivered will not be distributed further.

Hintergrund

Der Schuldnerin war durch Urteil des OLG München vom Januar 2013 aufgegeben worden, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter bestimmten Bezeichnungen zu bewerben und/oder zu vertreiben.

Abnehmer der Schuldnerin, die die streitgegenständlichen Produkte von dieser vor Erlass des Urteils im Januar 2013 erworben hatten, verkauften die betreffenden Produkte ausweislich zweier Testkäufe der Gläubigerinnen im Februar und März 2013. Darin sahen die Gläubigerinnen einen Verstoß der Schuldnerin gegen das Urteil des OLG München und beantragten die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Schuldnerin.

Das Landgericht wies den Antrag der Gläubigerinnen zurück, woraufhin das Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts zurückwies und gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld verhängte.

Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Entscheidung des Beschwerdegerichts bestätigt und darauf verwiesen, dass eine Unterlassungsverpflichtung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, regelmäßig nicht nur die Pflicht zur Unterlassung entsprechender Handlungen, sondern auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustandes umfasse. Der BGH führte weiter aus, dass eine Unterlassungsverpflichtung sich in diesen Fällen nicht im bloßen Nichtstun erschöpfe. Vielmehr sah der BGH den Schuldner als verpflichtet an, einen Rückruf der bereits ausgelieferten Produkte vorzunehmen, um zu verhindern, dass die Produkte weiter vertrieben werden.

Der BGH hat hervorgehoben, es sei rechtlich irrelevant, ob die Schuldnerin gegenüber ihren Abnehmern eine rechtliche Handhabe habe, von diesen die Rückgabe der rechtsverletzenden Produkte zu verlangen. Entscheidend sei vielmehr, dass es der Schuldnerin möglich und zumutbar war, ihre Abnehmer um Rückgabe der noch vorhandenen Produkte zu ersuchen. Insoweit bestanden nach den für zutreffend erachteten Feststellungen des Beschwerdegerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass eine entsprechende Aufforderung der Schuldnerin gegenüber ihren Abnehmern erfolglos gewesen wäre.

Betont hat der BGH in seiner Entscheidung zudem, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs zwar für das selbstständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen habe. Der Schuldner sei jedoch verpflichtet, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit dem Verstoß ernstlich rechnen müsse und zudem eine rechtliche oder auch nur tatsächliche Einflussmöglichkeit auf das Verhalten Dritter habe.

Fazit und Praxishinweis

Der BGH hat mit seiner Entscheidung an seiner Rechtsprechung festgehalten, wonach der Gläubiger eines Unterlassungsanspruchs es in der Hand hat, bereits mit einem Unterlassungsanspruch die Beseitigung des Verletzungszustandes zu verlangen, ohne einen an sich rechtlich selbstständigen Beseitigungsanspruch geltend machen zu müssen. Dies soll im Ergebnis dann möglich sein, wenn der Schuldner einer Pflicht zur Unterlassung nur dann gerecht werden kann, wenn er neben der Unterlassung oder Duldung auch Handlungen vornimmt.

Dies war in der Vergangenheit vom BGH bereits für Verletzungshandlungen bejaht worden, die eine Dauerhandlung darstellen, wie etwa der Anmeldung eines Kennzeichens, welche zu einer unberechtigten Eintragung eines Zeichens führen kann. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BGH den Kreis der Fälle, in denen eine Unterlassungsverpflichtung eine Pflicht zum aktiven Handeln umfassen kann, erweitert.

Für die Praxis hat dies zur Folge, dass Schuldner einer Unterlassungsverpflichtung sorgfältig prüfen müssen, ob sie aktive Maßnahmen – wie einen Rückruf rechtsverletzender Produkte aus den Vertriebswegen – ergreifen müssen, um einen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung und damit empfindliche Vertragsstrafen oder Ordnungsgelder zu vermeiden.